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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1
Autoren: Jonathan Tropper
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ziemlich in Trümmern liegt, wenn der wütende Anruf einer bipolaren Exfreundin der voraussichtliche Höhepunkt des Tages ist.
    Es ist neun Uhr dreißig morgens, theoretisch immer noch Rushhour, aber ich werde ja nach Norden fahren, gegen den Verkehr. Ein Auge auf die Straße geheftet, greife ich geistesabwesend in den unordentlichen Haufen von CDs, die verstreut auf dem Sitz neben mir liegen, eine eklektische Auswahl, die symptomatisch ist für einen unbestimmten und irrigen Versuch, mein tatsächliches Alter hinter mir zu lassen. Es ist nicht unbedingt so, dass ich Angst vor dem Altern habe; ich weigere mich nur, es allein zu tun. Und so höre ich mit vierunddreißig Everclear , Blink 182 , Dashboard Confessional, Foo Fighters und etlichen anderen zeitgenössischen Kram. Mein akustisches Rogaine. Irgendwie ist es mir gelungen, der Wahrscheinlichkeit ein Schnippchen zu schlagen und mein volles Haar zu behalten, aber das ist im Grunde nebensächlich. Irgendwo werden wir alle kahl.
    Außerdem komme ich aus den Achtzigern, einem Neon- und Haarspray-Jahrzehnt, aus dem nur sehr wenig Musik lebend hervorgekommen ist. Wann haben Sie denn das letzte Mal Men at Work, Thompson Twins oder Alphaville auf einem verbreiteten Radiosender gehört? Die Musik meiner Jugend ist schlecht gealtert und wirkt jetzt wie ein aus dem Zusammenhang gerissener Witz. Man musste dabei gewesen sein.
    Und doch wühlen meine Finger immer noch weiter, an No Doubt und Ben Folds vorbei, bis sie auf ein altes Exemplar von Springsteens Born to Run stoßen. Es gibt eben doch ein paar Dinge, die Zeit und Alter hinter sich lassen, und der »Boss« ist eines von ihnen. Ich lege die CD ein, und augenblicklich, auf eine Art, wie es nur Musik kann, versetzt sie mich zurück in mein Zimmer in Bush Falls, wo ich die Platte auf der Fisher-Stereoanlage abgenudelt habe, die ich zum Abschluss der achten Klasse von meinem Vater geschenkt bekam. Das war etwa neun Monate nach dem Tod meiner Mutter, und er teilte immer noch Trostpreise aus. Die Stereoanlage war sein großes Finale, und bald danach zog er sich für immer in seine Nische im Wohnzimmer zurück, um sich allabendlich in Gesellschaft seiner alten Highschool-Basketballtrophäen zu betrinken; er verließ das Haus nur noch, um zur Arbeit und zu Cougars-Spielen zu gehen.
    Als ich die Mautstelle in Riverdale passiere, wähle ich Owens Büronummer. Sein analretentiver Sekretär Stuart meldet sich mit adretter, dienstbeflissener Stimme. »Büro Owen Hobbs.«
    »Kann ich bitte mit Owen sprechen?«
    »Mr. Hobbs ist im Augenblick in einer Besprechung«, sagt er automatisch. »Darf ich fragen, wer anruft?«
    »Hier ist Joe Goffman.«
    »Oh, Mr. Goffman!«, sprudelt es aus Stuart hervor, mit einem Mal der Inbegriff von Wärme und Liebenswürdigkeit. »Wie geht es Ihnen? Ich habe Ihre Stimme nicht erkannt.«
    »Das liegt daran, dass wir uns nur selten sprechen.« Stuart ist ein typischer arroganter Wachhund, ein aufgeblasener Wichtigtuer, den sich Owen nur zur Belustigung hält, und auch wenn ich es im Allgemeinen genieße, wie er sich mir gegenüber binnen weniger Sekunden in einen schamlosen Speichellecker verwandelt, bin ich heute nicht in der Stimmung dazu. »Bitte sagen Sie ihm, dass ich es bin.«
    »Natürlich«, sagt Stuart, und ich kann heraushören, dass er pikiert ist. »Alles in Ordnung?«
    »Bestens.«
    Die Musik in der Warteschleife ist » Band on the Run «; Paul McCartneys Stimme strömt erstaunlich deutlich durch mein Freisprechtelefon und prallt mit dem Springsteen auf meiner Stereoanlage zusammen. Ich stelle Springsteen in dem Augenblick ab, in dem McCartneys durch Owens kratzige Stimme ersetzt wird, und so vermeiden wir ein historisches Duett.
    »Hey, Joe.« Er klingt heiser und groggy, was zumindest teilweise meine Schuld ist, da ich ihn heute Morgen fast bis fünf ans Telefon gefesselt habe.
    »Tut mir Leid wegen letzter Nacht. Ich hoffe, ich habe dich bei nichts gestört«, sage ich, obwohl man Owen fast immer bei irgendetwas stört. Der Mann hält sein Gesellschaftsleben mit einer frenetischen, fast verzweifelten Intensität in Schwung. Es ist, als hätte er Angst, der wilde Zirkus seines Lebens könnte die Zelte abbrechen und die Stadt ohne ihn verlassen, wenn er sich einen Abend freinimmt.
    »Zu dem Zeitpunkt hatte ich von Sasha für mein Geld im Grunde schon genug bekommen«, sagt er mit einem leisen Kichern. »Sasha?«
    »Eine rumänische Krankenschwester, wenn ich ihre Referenzen richtig
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