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Stadt unter dem Eis

Titel: Stadt unter dem Eis
Autoren: Thomas Greanias
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aufstehen, aber nun verließen sie ihre Kräfte. Der Arzt gab ihr eine Spritze in den Arm.
    »Beruhigen Sie sich, Schwester. Sie haben einiges mitgemacht«, sagte Warren und legte ihr eine Jacke um den zitternden Körper. Sie fühlte sich schwindelig und wie benommen.
    Sie strich sich nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht und sah zum Fenster hinaus. Das strudelnde Wasser hatte die Stadt fast verschluckt. Nur die Spitze der P4 ragte noch aus der dunklen Tiefe empor. Als Kind hatte sie sich oft vorgestellt, wie es gewesen sein musste, als sich das Rote Meer für die Kinder Israels geteilt hatte, und wie es später wieder zusammenkam, um die Pferde und Wagen des Pharaos zu ertränken. Genau dieses Bild hatte sie jetzt vor Augen.
    Sie betete zu Gott, Conrad möge sich in Sicherheit befinden, obwohl sie wusste, dass dem nicht so war. In ihrem Delirium stellte sie sich vor, wie sie nach ihm suchte: Sie würden ihn entdecken, er würde durch die Eistrümmer stolpern, er hätte auf wundersame Weise überlebt. Er würde aus dem Nebel, weißer als Schnee, auftauchen, seine Augenbrauen und Haare wären ganz weiß, fast leuchtend, als käme er gerade aus dem glänzenden Schleier des Heiligsten aller Heiligtümer. Die Amerikaner müssten landen. Sie würde auf Conrad zulaufen und ihn umarmen. Er ginge mit ihr zum wartenden Hubschrauber zurück, seine Vergangenheit für immer hinter sich lassend. Sie würden sich ganz fest halten, und Schneeflocken fielen wie Sterne um sie herum.
    Aber Conrad war nicht da, stellte sie bitter fest. Und Gott erhörte ihre Gebete nicht immer so, wie sie es wollte. Als der Hubschrauber wegflog, sah sie hinab auf die flache Spitze der P4, die kaum noch aus dem Wasser ragte. Es war, als würden sie jetzt über die Südsee fliegen. Keine Spur von einer Stadt – oder von Conrad. Alles verschwunden, wie weggefegt, als wäre es niemals da gewesen.
    Warren rief wieder irgendetwas. Bei dem Krach der Rotoren und dem Heulen des Windes konnte sie nicht viel davon aufschnappen. Dann hing er plötzlich in der offenen Tür. Er deutete auf etwas. Der Black Hawk schwenkte in die angegebene Richtung ein.
    Serena sprang sofort hoch, hielt sich an Warren fest und blickte hinaus. Oben auf der P4 stand eine einsame Gestalt. Der Mann, der wie wild mit den Armen wedelte, trug eine UN-Uniform.
    »Das ist er!«, schrie sie, so laut sie konnte.
    »Runter!«, befahl Warren dem Piloten, der gegen den Sturm zu kämpfen hatte.
    Serena griff nach Warrens Fernglas. Der Hubschrauber sank, und als sie nur noch zehn Meter entfernt waren, blickte der Mann zu ihnen auf. Bestürzt stellte sie fest, dass es nicht Conrad war. Es war einer der Ägypter, der eine Maschinenpistole im Anschlag hatte.
    »Zurück, Admiral!«, rief sie.
    »Wir kriegen ihn, keine Sorge«, sagte Warren. Serena blickte sich um und sah zwei Scharfschützen, die ihre Gewehre auf den Mann richteten. »Ich will ihn lebendig.«
    Serena spürte einen Luftzug an ihrem Ohr und sah gleich darauf, wie der Ägypter von einer Kugel in die Schulter getroffen wurde und ins Wasser klatschte.
    Warren nickte zufrieden. »Dichter ran.«
    Als der Hubschrauber jedoch näher kam, richtete sich der Ägypter im Wasser wieder auf und fing an, wie wild um sich zu schießen.
    Eine Kugel erwischte Warren, der an der offenen Luke stand, im Genick, und er fiel auf Serena; er war tot. Nur mit Mühe konnte sie seinen schweren Körper wegstoßen. Sie rief um Hilfe, aber als sie über die Schulter blickte, sah sie einen der amerikanischen Soldaten umfallen. Auch er war getroffen worden. Gleichzeitig hatten die Schüsse aus dem Maschinengewehr das Cockpit durchlöchert. Serena hörte den Piloten aufschreien.
    Der Black Hawk machte einen Ruck nach vorn. Serena hielt sich an den Spanten fest. Dann gewann der Hubschrauber abrupt an Höhe, und sie wurde durch die offene Luke hinausbefördert. Sie spürte, wie sie ins Leere flog. Dann klatschte sie oben auf der P4 auf.
    Sie rollte sich auf den Rücken und sah hoch. In zehn Meter Höhe versuchte sich der Black Hawk zu fangen, drehte scharf nach links und explodierte dann in einem riesigen Feuerball. Brennende Trümmerteile stoben wie Granatsplitter durch die Luft und nahmen ihr jegliche Hoffnung auf Rettung.
    Bis auf die Knochen durchweicht, rappelte sie sich auf. Sie stand dem verletzten Ägypter gegenüber. Blut spritzte aus seiner Schulter. Er war der letzte Überlebende aus Zawas Armee. Die auf sie gerichtete Kalaschnikow in seiner Hand zitterte.
    Sie
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