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Stadt unter dem Eis

Titel: Stadt unter dem Eis
Autoren: Thomas Greanias
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Ford-Mustang-Kabrios baumeln, das er mithilfe seines Urlaubsgeldes für die Flitterwochen kaufen wollte. Wenn man hier unten war, häufte sich das Geld nur so. Es gab einfach nichts, wo man es verprassen konnte. Die Forschungsstation McMurdo, wichtigster Außenposten der USA in der Antarktis, war 1.500 Meilen entfernt und bot ihren 200 Winterbewohnern lediglich ein vollautomatisches Gerät zur Stimmenauszählung, ein Café und zwei Bars, und das alles bei einem Männer-Frauen-Verhältnis von zehn zu eins. Richtige Zivilisation gab es erst 2.500 Meilen weit entfernt in ›Cheech‹-Christchurch, Neuseeland. Das könnte genauso gut auf dem Mars sein.
    Mal ehrlich: Wer würde ihn schon in den Schnee pinkeln sehen?
    Drake blieb stehen. Der Sturm hatte sich gelegt. Im Augenblick waren die Fallwinde gänzlich zur Ruhe gekommen. Es herrschte eine Ehrfurcht gebietende Stille. Die Winde konnten allerdings ganz plötzlich wieder einsetzen, um dann mit ohrenbetäubenden 300 Stundenkilometern dahinzufegen. Die antarktischen thules oder ›Toolies‹, die inneren Schneewüsten, waren nun einmal unberechenbar.
    Das war jetzt die Gelegenheit.
    Drake konnte es nicht mehr länger zurückhalten. Er machte den Reißverschluss seines Polaranzugs auf und erleichterte sich. Die beißende Kälte schlug wie ein Elektroschock zu. Die Temperatur drohte in der Nacht auf knapp -90°C zu sinken, auf einen Punkt, an dem nacktes Fleisch in weniger als dreißig Sekunden gefror.
    Mit beschlagenem Atem zählte Drake leise von dreißig abwärts. Haargenau bei sieben machte er seine Hose wieder zu und schickte ein Stoßgebet gen Himmel.
    Die drei Gürtelsterne des Orions funkelten über die öde Eisfläche. Die ›Weisen aus dem Morgenland‹, wie er sie nannte, waren die einzigen Zeugen seiner verwerflichen Tat. Wirklich weise Männer, dachte er lächelnd. Plötzlich spürte er unter sich ein leichtes Knacken im Eis, das aber sofort wieder abebbte. Ein weiteres Beben. Höchste Zeit, die Werte abzulesen.
    Drake ging zu den weißen Kuppeln der Basis zurück. Die Stiefel knirschten im Schnee. Laut Vorschrift hätten die Hütten gelb, rot oder grün sein müssen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Aber gerade das wollte Uncle Sam vermeiden. Jedenfalls solange der Antarktisvertrag sowohl Militärpersonal als auch militärische Ausrüstung vom Friedenskontinent verbannte – außer sie dienten ›Forschungszwecken‹.
    Drakes inoffizieller Befehl lautete, ein Team aus NASA-Wissenschaftlern tief ins Innere der Ost-Antarktis zu führen, die zwar aus der Luft, aber nie zu Boden kartografisch erfasst worden war. Sie sollten den Verlauf der Längengrade, insbesondere den des Oriongürtels, verfolgen. Nachdem sie im Epizentrum der jüngsten Beben angekommen waren und die Basis aufgebaut hatten, begann das NASA-Team sogleich mit der Echolotung und der Aufzeichnung seismischer Daten. Dann wurde gebohrt. Das ›Forschen‹ hatte irgendwie etwas mit der Topografie einer vorzeitlichen Landmasse etwa zwei Meilen unter dem Eis zu tun.
    Drake konnte sich nicht vorstellen, was die NASA da unten zu finden hoffte. General Yeats hatte dahingehend nichts verlauten lassen. Auch konnte er es sich nicht erklären, warum das Team Waffen benötigte und regelmäßig Patrouillen durchführte. Die einzige vorstellbare Bedrohung für die Mission war ein Team der United Nations Antarctica Commission (UNACOM) in der Wostok-Station, einem verlassenen russischen Stützpunkt, der vor ein paar Wochen plötzlich wieder in Betrieb genommen worden war. Aber die Wostok-Station war fast 400 Meilen entfernt, zehn Stunden auf dem Landweg. Warum die NASA sich so für die UNACOM interessieren sollte, war Drake genauso ein Rätsel wie all das, was unter dem Eis lag.
    Was sich da unten befand, musste mindestens 12.000 Jahre alt sein. Drake hatte irgendwo einmal gelesen, dass das Eis diese frostige Hölle schon seit so langer Zeit bedeckte. Jedenfalls musste es für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten von großer Bedeutung sein, sonst hätte Washington dieses geheimnisvolle Vorgehen angesichts des internationalen Tamtams, das eine Entdeckung dieser illegalen Expedition nach sich zöge, niemals riskiert.
    Die Kommandozentrale war eine Kuppel aus vorgefertigtem Fiberglas, auf der sich mehrere Satellitenschüsseln und Antennen gen Himmel reckten. Als Drake zwischen den mehreren Dutzend Metallstangen, die um die Basis herum aufgestellt waren, darauf zuging, löste er laute
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