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Stadt unter dem Eis

Titel: Stadt unter dem Eis
Autoren: Thomas Greanias
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Hilfe brauchte. In der unheimlichen Stille hörte er, wie sein Polaranzug über das Eis schabte. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, als er den Rand des Abgrunds erreichte.
    Drake leuchtete mit der Taschenlampe in die Dunkelheit. Der Lichtkegel beschien die glasigen blauweißen Eiswände und arbeitete sich weiter nach unten vor.
    Mein Gott, dachte er, das Loch ist mindestens eine Meile tief.
    Dann sah er die Leichen und das, was von der Basis übrig geblieben war, ein paar hundert Meter tiefer auf einer Eisplatte. Wegen der weißen Thermoanzüge konnte man das Versorgungspersonal der Navy kaum von dem zerbrochenen Fiberglas und dem verbogenen Metall unterscheiden. Die Leichen der zivilen Wissenschaftler hingegen waren in ihren bunten Parkas gut auszumachen. Einer lag etwas abseits auf einer kleinen Eiskante. Sein Kopf, von einem Heiligenschein aus Blut umgeben, stand in einem unnatürlichen Winkel vom Rumpf ab.
    In Drake begann sich alles zu drehen, während er in Augenschein nahm, was von seinem ersten Kommando übrig geblieben war. Er musste herausfinden, ob noch jemand atmete. Er musste nach irgendwelchen Geräten suchen und Hilfe holen. Er musste etwas unternehmen.
    »Kann mich jemand hören?«, rief Drake. In der trockenen Luft überschlug sich seine Stimme.
    Er lauschte und glaubte ein Schlagen zu hören. Schließlich stellte es sich heraus, dass das Geräusch von seinem Funkoffizier herrührte, dessen erfrorene Glieder über der zerstörten Ausrüstung hingen und wie Glas klirrten.
    Er rief in den Wind. »Hört mich jemand?«
    Keine Antwort, nur ein leises Pfeifen über dem Abgrund.
    Drake sah näher hin und bemerkte irgendein Gebilde, das aus dem Eis hervorragte. Kein Fiberglas oder Metall oder sonst was aus dem Basiscamp. Es war etwas Festes, etwas, was zu leuchten schien.
    Was ist denn das?, dachte er.
    Eine entsetzliche Stille fiel über das Ödland. Schaudernd wurde ihm klar, dass er mutterseelenallein war.
    Verzweifelt suchte er in den Trümmern nach einem Funktelefon. Wenn er wenigstens eine Nachricht senden konnte, wenn er nur Washington in Kenntnis setzen könnte. Die Versicherung, von den Stationen McMurdo oder Amundsen-Scott würde Hilfe herbeieilen, würde ihm die Kraft geben, einen Unterschlupf zu errichten, um die Nacht zu überleben.
    Eine plötzliche Windbö heulte los. Drake spürte, wie der Boden unter ihm nachgab. Er schnappte nach Luft und tauchte mit dem Kopf voran in die Dunkelheit ein. Mit einem dumpfen Geräusch landete er auf dem Rücken und hörte etwas abscheulich knacken. Er konnte die Beine nicht mehr bewegen. Beim Versuch, um Hilfe zu rufen, hörte er nur seinen pfeifenden Atem.
    Über ihm standen in gleichgültiger Stille die drei Sterne des Orion am Himmel. Er bemerkte einen eigenartigen Geruch, beziehungsweise wie sich die Beschaffenheit der Luft verändert hatte. Drake spürte, wie sein Herz auf ungewohnte Art schlug, so als verlöre er die Gewalt über seinen Körper. Immerhin konnte er noch die Hände bewegen.
    Mit den Fingern tastete er über das Eis und griff nach der Taschenlampe. Sie war noch nicht verloschen. Er suchte die Dunkelheit ab und hielt den Strahl auf die durchsichtige Wand. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich mit den Augen an das Licht gewöhnt hatte. Er konnte nicht genau erkennen, was es war. Es sah aus wie im Eis eingeschlossene Kohlestücke. Dann merkte er, dass es Augen waren: die Augen eines kleinen Mädchens, das ihn aus der Eiswand anstarrte.
    Einen Augenblick lang starrte er zurück. Hinten in seiner Kehle bildete sich ein leises Stöhnen, als er schließlich den Kopf abwandte. Er war von hunderten tadellos erhaltenen Menschen umgeben, Menschen, die in die Zeit eingefroren waren und die Arme nun verzweifelt in die Ewigkeit streckten.
    Drake öffnete den Mund, um zu schreien, aber da fing das Poltern wieder an, und eine glitzernde Lawine aus Eissplittern prasselte auf ihn herab.

2
Entdeckung
plus 21 Tage Nazca, Peru
    Unter der glühenden peruanischen Sonne kletterte Conrad Yeats den Hang zum Gipfelplateau hoch, von wo aus er die Ebene von Nazca überschaute. Hunderte von Metern unter ihm erstreckte sich die endlose, leere Wüste. Er konnte den Kondor, den Affen und die Spinne erkennen, riesige Figuren, die in die ausgedörrte Ebene, die der Marsoberfläche ähnelte, gescharrt waren. Die berühmten Erdzeichnungen von Nazca, kilometerlang und tausende Jahre alt, waren so groß, dass man sie nur aus der Luft richtig erkennen konnte. Genauso wie
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