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Stadt des Schweigens

Stadt des Schweigens

Titel: Stadt des Schweigens
Autoren: Margret Krätzig Erica Spindler
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hinter sich zuschlug, erhaschte sie einen Blick auf sein gezeichnetes Gesicht.
    Hunter Stevens ist ein gebrochener Mann.
    Zum Teufel mit ihm, dachte sie und schob den Riegel vor. Sie hatte mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen.

4. KAPITEL
    Hunter blickte auf die Reihe voller, ungeöffneter Flaschen: Bier, Wein, Whisky, Wodka. Alles Sünden der Vergangenheit, Nägel zu seinem Sarg.
    Er behielt die Getränke, um sich zu beweisen, dass er ihnen widerstehen konnte. Damit tat er das genaue Gegenteil dessen, was die Anonymen Alkoholiker empfahlen. Vermutlich war er tief im Herzen ein Masochist.
    Wenn er an Avery dachte, stieg Zorn in ihm hoch. Früher einmal waren sie die besten Freunde gewesen, er, Matt und Avery. Doch von einem bestimmten Zeitpunkt an geriet ihre Beziehung auf verrückte Weise aus den Fugen und sein Leben irgendwie auf das falsche Gleis.
    Er stellte sich vor, wie sie mit Matt und seiner Familie am Esstisch gesessen hatte und lachend in Erinnerungen an die guten alten Zeiten schwelgte. Hatte auch er eine Rolle in diesen Erinnerungen gespielt oder hatte man ihn einfach totgeschwiegen und so getan, als gäbe es ihn nicht? Hatte man ihn ausgeschlossen wie früher?
    Was stimmt nicht mit dir, Hunter? Was ist bei dir schief gelaufen?
    Gute Frage, dachte er, blickte zu den Flaschen und ballte die Fäuste, um dem Drang zu widerstehen, eine nach der anderen zu öffnen und sich sinnlos zu betrinken. Diesen Weg hatte er schon einmal eingeschlagen und wusste, dass er ihn geradewegs in die Hölle führte.
    In seine ureigenste Hölle, in der Kinder schrien und er nur machtlos zuschauen konnte, wie das Unvermeidliche geschah, verzweifelt, entsetzt und voller Selbsthass.
    Er wandte sich von den Flaschen ab, verließ die Küche und ging zum provisorischen Schreibtisch in einer Ecke des Wohnzimmers hinüber. Der Computermonitor leuchtete in dem schwach erhellten Raum, und das Gebläse summte leise. Neben dem Gerät lagen Seiten eines Romans, seines Romans, die Geschichte über den Absturz eines Anwalts.
    Wenn er das Ende der Geschichte kennen würde, wäre ihm wohler. Eines Tages würde sich sein Protagonist hoffentlich wieder nach oben hangeln. Doch manchmal hatte ihn die Hoffnungslosigkeit so fest im Griff, dass er kaum atmen, geschweige denn an ein glückliches Ende denken konnte.
    Er setzte sich und wollte seine Energie – und seinen Zorn – in seinen Roman einbringen. Stattdessen kreisten seine Gedanken wieder um Avery und ihre Familie.
    Was veranlasste einen Menschen, sich mit einer brennbaren Substanz zu übergießen und dann selbst anzuzünden?
    Er wusste es und konnte es nachvollziehen.
    Er war selbst schon an diesem Punkt gewesen.
    Der blinkende Cursor erregte seine Aufmerksamkeit, und er konzentrierte sich auf die geschriebenen Worte.
    Jack kämpfte gegen die Mächte an, die ihn zu verschlingen drohten. Zu seiner Rechten lagen die Gesetze der Menschen, zu seiner Linken die Gottes. Ein falscher Schritt, und er war verloren.
    Verloren und aufgefangen. Er war heimgekehrt, um sein Leben ins Lot zu bringen und von neuem zu beginnen. Der Anfang war gemacht.
    Seltsam, dass auch Avery nun hier war. Sie waren wieder zusammen: er, Matt und Avery, genau wie damals, als sein Leben langsam aus den Fugen geriet. Welche Auswirkungen hatte das auf seine Pläne?
    Keine, sagte er sich. Er würde Klarheit in seinem Leben schaffen, gleichgültig, wie sehr es schmerzte.

5. KAPITEL
    Avery fuhr mit heftigem Herzklopfen im Bett hoch, den Namen ihres Vaters noch als Schrei auf den Lippen. Ihr Blick schoss zur Schlafzimmertür. Für einen Moment war sie wieder das Kind, das ihre hereinstürmenden Eltern erwartete, die sie tröstend umarmten.
    Natürlich kamen sie nicht, und sie sank gegen den Kopfteil des Bettes. Wie erwartet hatte sie schlecht geschlafen und sich die meiste Zeit von einer Seite auf die andere gewälzt. Jedes Knarren des alten Hauses war unvertraut und nervtötend. Etwa ein halbes Dutzend Mal war sie aufgestanden, hatte die Türen überprüft, aus den Fenstern geschaut und war die Flure entlanggewandert.
    Vermutlich hatten nicht die Geräusche sie geweckt, sondern die Stille, oder vielmehr der Grund für diese Stille.
    Schließlich hatte sie ein paar Tabletten genommen, und der Schlaf hatte sich eingestellt.
    Aber keine innere Ruhe. Der Schlaf hatte Albträume mitgebracht. Sie war aus einem warmen schützenden Mutterleib plötzlich in grelles Licht gezerrt worden. Das Licht hatte geschmerzt, und sie war nackt
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