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Stadt des Schweigens

Stadt des Schweigens

Titel: Stadt des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margret Krätzig Erica Spindler
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Cherrys Bemerkung von gestern Abend ein, dass man aus Liebe zu etwas Dramatischem fähig sein könnte. Jetzt war sie besorgt und sagte es ihr.
    Cherry wischte sich die Augen. „Mach dir keine Gedanken.
    Außerdem”, fügte sie sichtlich aufgeheitert hinzu, „kommt Karl ja vielleicht zurück. Du bist ja auch wieder da.“
    Avery brachte es nicht über sich, sie zu korrigieren, zumal sie noch gar nicht wusste, ob sie bleiben wollte. „Hast du mit Karl gesprochen, seit er fort ist?“
    Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen, und Avery bedauerte ihre Frage. „Sein Dad hat ein paar Briefe bekommen. Der lebt drüben in Baton Rouge in einem Heim. Ich sehe ihn einmal die Woche.“
    „Und Matt?“
    „Sie haben einmal miteinander gesprochen und sich gestritten. Matt hat ihn ausgeschimpft, weil er mich so behandelt hat. Seither haben sie nichts mehr voneinander gehört.“
    Avery konnte sich vorstellen, wie Matt geschimpft hatte. Er hatte Cherrys Heldenanbetung in Bezug auf ihn immer mit grimmigem Beschützertrieb vergolten.
    „Er hat dich sehr vermisst, weißt du?“
    Überrascht sah Avery sie an. „Was meinst du?“
    „Matt. Er hat immer gehofft, dass du zurückkommst.“
    Avery merkte erstaunt, wie sehr diese Mitteilung sie anrührte. „Es ist viel Zeit vergangen, Cherry. Unsere Freundschaft war wunderbar, aber wir waren sehr jung. Ich bin sicher, es hat inzwischen andere Frauen für Matt gegeben …“
    „Nein. Er hat immer nur dich geliebt. Keine andere war ihm gut genug.“
    Avery wusste nicht, was sie sagen sollte.
    „Da ist immer noch etwas zwischen euch. Ich habe es gestern Abend gespürt und Mom und Dad auch. Es war wirklich sehr deutlich zu erkennen.“
    Da sie nicht antwortete, fragte Cherry forschend: „Wovor hast du solche Angst, Avery?“
    „Es ist so viel Zeit vergangen. Wer weiß, ob Matt und ich überhaupt noch etwas gemeinsam haben?“
    „Habt ihr.“ Cherry nahm ihre Hand. „Manches ändert sich nie, und manche Menschen sind einfach füreinander bestimmt.“
    „Falls das so ist“, erwiderte Avery aufgesetzt munter, „werden wir es feststellen.“
    Anstatt die Hand loszulassen, drückte Cherry sie fester. „Ich will nicht, dass du ihm noch einmal wehtust, verstehst du mich?“
    Voller Unbehagen zog Avery an ihrer Hand. „Glaube mir, ich habe nicht vor, deinem Bruder wehzutun.“
    „Ich bin sicher, du meinst das so. Aber wenn es dir nicht ernst ist, geh ihm aus dem Weg. Geh ihm einfach aus dem Weg.“
    „Lass meine Hand los, Cherry, du tust mir weh.“
    Betreten ließ Cherry los. „Entschuldige, ich werde etwas heftig, wenn es um meine Brüder geht.“
    Ohne auf eine Erwiderung zu warten, sah sie auf die Uhr und bemerkte, es sei über die Zeit und sie verspäte sich zum Treffen der Frauengilde. Rasch packte sie den Picknickkorb, ließ Avery jedoch die Thermosflasche und die Brötchen da.
    „Bring die Kanne irgendwann vorbei“, sagte sie und eilte zur Tür hinaus.
    Als Cherry ihren Mustang rückwärts aus der Zufahrt setzte und verschwand, wurde Avery bewusst, wie sehr es sie beunruhigte, dass ihre zunächst freundschaftliche Unterhaltung einen feindseligen Ton angenommen hatte. Die drohende Cherry hatte sie nervös gemacht, und sie hatte sie kaum wiedererkannt.
    Langsam schloss sie die Tür und versuchte, ihr Unbehagen abzuschütteln. Cherry hatte immer zu Matt aufgeblickt, und die eigene Erfahrung des Verlassenwerdens hatte sie wahrscheinlich überempfindlich gemacht. Allerdings hatte sie nicht nur von Matt, sondern von ihren Brüdern gesprochen.
    Seltsam, vor allem angesichts ihrer gestrigen Bemerkungen über Hunter. Vielleicht hatte sie mehr Kontakt zu ihm, als sie zugab. Aber warum wollte sie das verbergen? Avery schalt sich, dass sie hinter allem immer gleich eine Story witterte. Sie sollte sich um die eigenen Probleme kümmern und sich mit dem Selbstmord ihres Vaters und der eigenen Verantwortung befassen.
    Sie blickte zur Treppe und überwand sich schließlich, zum Schlafzimmer ihrer Eltern hinaufzugehen. Vor der verschlossenen Tür blieb sie stehen, holte tief Luft und griff nach dem Knauf. Langsam schwang die Tür auf. Das Bett war ungemacht, die Kommode ihrer Mutter leer geräumt. Früher war sie überladen gewesen mit Tuben und Tiegeln, und neben Bürste und Kamm hatte ein Samtkästchen mit ihrem Lieblingsschmuck gestanden.
    Jetzt sah die Kommode kahl aus.
    Sie ließ den Blick umherschweifen. Ihr Vater hatte alles entfernt, was an ihre Mutter erinnerte. Damit war auch die

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