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Stadt des Schweigens

Stadt des Schweigens

Titel: Stadt des Schweigens
Autoren: Margret Krätzig Erica Spindler
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Schläge, dachte sie, der große Gleichmacher.
    „Und ich bin ein Kind dieser Stadt.“
    „Dann stimmt es also? Du bleibst für immer?“
    „Das habe ich nicht gesagt.“
    „So wird geredet. Ich habe mir schon gedacht, dass es nicht stimmt.“ Er zuckte die Achseln. „Aber man weiß ja nie.“
    „Und das heißt?“ fragte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.
    „Bereite ich dir Unbehagen?“
    „Nein, natürlich nicht.“ Verärgert über ihre Geste ließ sie die Arme wieder sinken. „Ich war heute Abend zum Dinner bei deinen Eltern.“
    „Und Matt auch. Hab schon gehört.“
    „Ich hatte erwartet, dich auch dort zu treffen.“
    „Dann haben sie dir also erzählt, dass ich in Cypress Springs lebe?“
    „Matt erwähnte es.“
    „Und hat er dir auch erzählt, warum?“
    „Nur, dass du ein paar Probleme hattest.“
    „Netter Euphemismus.“ Er ließ den Blick über die Fassade ihres Elternhauses gleiten. „Tut mir Leid, das mit deinem Dad. Er war ein großartiger Mann.“
    „Das denke ich auch.“ Plötzlich nervös geworden, klimperte sie mit ihren Autoschlüsseln und wollte ins Haus.
    „Willst du mich nicht fragen?“
    „Was?“
    „Ob ich mit ihm gesprochen habe, ehe er starb.“
    Die Frage verblüffte sie. „Was meinst du?“
    „Das scheint mir doch eine klare Frage zu sein.“
    „Okay. Hast du mit ihm gesprochen?“
    „Ja. Er hat sich Sorgen um dich gemacht.“
    „Um mich?“ Sie zog die Stirn in Falten. „Warum?“
    „Weil deine Mutter gestorben ist, ehe ihr zwei eure Differenzen ausräumen konntet.“
    Differenzen, dachte sie. Fasste man so lebenslange Kränkungen, Sehnsucht nach bedingungsloser mütterlicher Liebe und Zustimmung und daraus resultierende ständige Enttäuschungen zusammen? Sofort ging ihr eine Litanei an Maßregeln durch den Kopf, die sie über die Jahre von ihrer Mutter gehört hatte und die sich ihr ins Gedächtnis eingebrannt hatten.
    „Avery, kleine Mädchen klettern nicht auf Bäume, bauen keine Forts und spielen nicht Cowboy und Indianer mit den Jungs. Sie tragen Schleifen und Rüschenkleider und keine abgeschnittenen Jeans und T-Shirts. Gute Mädchen planen ihr Leben damenhaft. Sie rennen nicht fort in die nächste Großstadt, um Zeitungsschreiberin zu werden. Sie werfen nicht einen guten Mann weg, um einem Traum nachzujagen.“
    „Er dachte, du wärst vielleicht traurig darüber“, fuhr Hunter fort. „Sie war es jedenfalls. Sie hat immer bedauert, nicht ihren Frieden mit dir gemacht zu haben.“
    „Hat er das gesagt?“ presste sie hervor.
    Er nickte. Sie wandte den Blick ab und erinnerte sich, was sie ihrer Mutter entgegengeschleudert hatte, ehe sie zur Uni gegangen war.
    „Tu nicht so liebevoll besorgt, Mutter! Du warst nie mit mir oder meinem Verhalten einverstanden. Ich war nie die Tochter, die du wolltest. Warum gibst du es nicht einfach zu?“
    Ihre Mutter hatte es nicht zugegeben, und sie war abgereist, ohne dass der Vorwurf zwischen ihnen ausgeräumt worden wäre. Sie hatten nie mehr ein Wort darüber verloren, doch seither hatte es eine Kluft zwischen ihnen gegeben.
    „Er dachte, das sei der Grund, warum du kaum noch nach Haus gekommen bist.“ Hunter zuckte die Achseln. „Interessant, dass du nie mit dem Leben deiner Mutter zurechtgekommen bist und er nicht mit ihrem Tod.“
    Der letzte Satz ließ sie aufmerken. „Was soll das heißen, er ist nicht mit ihrem Tod zurechtgekommen?“
    „Das ist doch wohl offensichtlich. So etwas nennt man Trauer.“
    Sie merkte, dass er mit ihr spielte, und wurde wütend. „Und wann haben eure Unterhaltungen stattgefunden?“
    Hunter zögerte einen Augenblick. „Wir haben uns oft unterhalten, dein Dad und ich.“
    Avery spürte plötzlich die Belastungen der letzten beiden Tage – die Reise in das Fremde und doch so Vertraute. „Ich habe nicht mehr die Energie, mir deinen Mist anzuhören, selbst wenn ich wollte. Sobald du dich entschlossen hast, dich wie ein anständiger Mensch aufzuführen, kannst du mich ja aufsuchen.“
    Lächelnd zog er einen Mundwinkel hoch. „Ich habe deine Frage von vorhin noch nicht beantwortet, als du mich nach meiner Meinung über das gefragt hast, was geredet wird. Ich glaube, du packst deinen alten Herrn in eine Kiste und haust, so schnell du kannst, wieder ab.“
    Betroffen wich sie einen Schritt zurück. Warum war er so schroff, obwohl sie sich einmal sehr nahe gestanden hatten? Sie drängte sich an ihm vorbei, schloss die Tür auf und trat ein. Bevor sie die Tür
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