Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel
Autoren: Christa Wolf
Vom Netzwerk:
da auf dem Plattenweg vor dem Eingang des ms. victoria hockten, mich mit ihren runden, hell umränderten Augen unverwandt anstarrten und gar keine Anstalten machten, zurückzuweichen, bis ich sie mit einem Händeklatschen verscheuchte.
    Du denkst doch sicher daran, hierzubleiben, sagte Francesco, unser Italiener. Da saß ich neben ihm in seinem uramerikanischen extravaganten holzverkleideten Cabriolet, mit dem er sich einen Jugendtraum erfüllte, und wir fuhren nach einem frühen schnellen Sonnenuntergang auf einem der Freeways lange, lange gen Osten, um die Installation eines Künstlers zu besichtigen, den Francesco »berühmt« genannt hatte. Ich kannte ihn nicht, hatte mich einfach mit den anderen scholars in der Tiefgarage des ms. victoria versammelt, wo wir uns auf drei Autos verteilten. Ich fuhr einfach mit, wie ich immer mitfuhr, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot, weil die Stadt, das Monster, anfing, einen Sog auf mich auszuüben, den ich noch nicht wahrhaben wollte. Und nun erschreckte mich Francesco mit seiner Vermutung, oder Aufforderung, hier zu bleiben.
    Ich? Hierbleiben? Aber wie kommst du darauf?
    Die meisten von uns denken, du wärst dumm, wenn du es nicht tätest. Wenn du jetzt zurückgingest. In diesen deutschen Hexenkessel.
    Ihr meint, ich soll emigrieren?
    Auf Zeit. Übrigens wohnen wir ja in der Stadt der Emigranten.
    Kannten die anderen mich so wenig? Oder sahen sie meine Lage realistischer als ich selbst? Ich konnte nicht voraussehen, wie oft Francescos Frage mir noch gestellt werden würde. Und wie sie als Behauptung weiter kolportiert werden würde.
    Die harte Poesie der Freeways, im Abendlicht. Mit Genuß fädelte Francesco sich in den Verkehr ein, während erversuchte, mir den Kauf dieses extravaganten Autos mit der Infektion durch Begierden zu erklären, die er sich als Jugendlicher durch eine Überdosis an amerikanischen Filmen zugezogen habe. Ich sah Francesco von der Seite an: tiefschwarzes, über der Stirn etwas störrisches Haar, eine große gerade Nase, alles sehr männlich, Ines, die hinter uns saß, gab einen Ton von sich, der Zweifel bedeuten konnte, Mißfallen, aber auch überlegenes Gewährenlassen. Sie war die Schönste von uns, fand ich, mit ihrem gemmenhaft geschnittenen Gesicht und dem schwarzen Haarbusch, der nicht zu bändigen war.
    Rush hour. Wir mußten ein Bestandteil dieses tausendäugigen Fabelwesens werden, das, auf je fünf Spuren, in zwiefacher gleichartiger Gestalt einander entgegen und scheinbar um Haaresbreite aneinander vorbeiraste, wir mußten uns einfühlen in die vor uns, hinter uns, rechts und links neben uns mitfahrenden anderen Bestandteile dieses Wesens, das uns alle beherrschte und das jede Eigenbewegung, jeden Fehler grausam bestrafte, wie es uns Abend für Abend auf dem Bildschirm vorgeführt wurde. Die ineinander verkeilten Karossen, die im Schockzustand weggeführten oder als Verwundete, als mit einem weißen Laken bedeckte Tote auf Bahren weggetragenen Insassen dieser Schrotthaufen, als untauglich ausgespien, als weichliche Versager den Härtetest nicht bestanden, dem wir uns, dachte ich, arglos und leichtfertig ohne Not aussetzten.
    Die gleichförmige Bewegung, in die wir eingeschlossen waren, übte eine hypnotische Wirkung auf mich aus und versetzte mich in einen leichten Trance-Zustand, in dem Francescos Worte mich nur gedämpft erreichten: Bei dieser Installation, zu der wir unterwegs waren, handle es sich um etwas sehr, sehr Modernes, aber daß dieses verdammte College, dem wir zustrebten, so weit draußen liegen würde, hätte er auch nicht gedacht. Längst hatte er die Scheinwerfer angeschaltet, mit unzähligen Lichtern warf sich uns nun das Ungeheuer Verkehr entgegen. Jetzt erst tauchte linkerhand Downtown auf, eine Fata Morgana, Lichtertürme in bizarren Formen. Zu denken,sagte Francesco, daß es das vor zwanzig Jahren noch nicht gab, daß Los Angeles ein platter Pfannkuchen war, städtebaulich gesprochen. Aber diesem Eindruck konnte man auch heute noch leicht erliegen, dachte ich, wenn nämlich Downtown sich langsam vorbeigedreht hatte und sich endlos nach beiden Seiten die manchmal an Laubenkolonien erinnernde flache Stadtlandschaft ausbreitete, aus der nur die Säulen der Palmstämme mit ihren zerzausten Blattwedeln aufragten. Was die für Platz haben zum Bebauen und Verbauen, aus Francesco sprach der Architekt.
    Es war ganz dunkel geworden. Ines fragte sich, ob Francesco nicht doch die Abfahrt verpaßt habe, Francesco widersprach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher