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Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel
Autoren: Christa Wolf
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hätten, und wir sahen stumm ihrer Inszenierung zu, bis jemand den Einfall hatte zu sagen: God exists.
    Das Licht! Ja, das Licht, würde ich zuerst sagen, wenn jemand mich fragte, wonach ich mich sehne, wenn ich zurückdenke. Die endlosen palmenumsäumten Straßen, die direkt in den Ozean zu münden schienen, wie der Wilshire Boulevard, den ich oft und oft hinauf- und hinuntergefahren bin. Und, ja, auch das ms. victoria würde mir einfallen, in das ich mich allmählich verliebte, als ich begriffen hatte, daß es ein magischer Ort war. Ganz überraschend war es nicht, daß das Erdbeben, das Los Angeles wenige Jahre nach unser aller Abreise heimsuchte, dieses alte, etwas morsche Gebäude im spanischen Stil bis zur Unbrauchbarkeit beschädigte. Es war nicht so einfach, dahinterzukommen, »how it works«, aber dann mußte man es mit Humor nehmen, von welcher Behausung könnte man dassonst sagen? Einige der Bulletins von der unsichtbaren Managerin des Hotels, die uns regelmäßig unter der Tür durchgeschoben wurden, habe ich aufgehoben, Warnungen zumeist: Wir sollten zum Beispiel unsere Aufmerksamkeit darauf richten, daß die Außentür allzeit geschlossen bleibe. Daß wir niemals, unter keinen Umständen, fremden Personen diese Tür zu öffnen hätten, denn wir fänden uns doch sicherlich mit ihr vereint in dem Bedürfnis nach Sicherheit, besonders in diesen von Mrs. Ascott nicht näher bezeichneten Zeiten. Da hatte noch niemand von uns die Managerin zu Gesicht bekommen, aber ein Bild von ihr hatte sich vor unseren Augen schon entwickelt, eine strenge, in graue Kostüme gekleidete Frau mittleren Alters mit straff zusammengesteckten Haaren. Natürlich mußten wir, um das ms. victoria lebensfähig zu halten, ihre Anweisungen unterlaufen, zum Beispiel ein Netzwerk einrichten für den Fall, der selten, aber eben doch vorkam, daß abends ein verspäteter Gast vor der Tür stand, die ihm unerbittlich verschlossen bleiben sollte, und der, je nach Alter und Geschlecht, entweder bei Emily, der amerikanischen Filmwissenschaftlerin, die über mir wohnte, oder bei Pintus und Ria, den jungen Schweizern, die unter mir wohnten, oder eben bei mir ein Nachtquartier fand.
    Es stellte sich heraus, daß man Menschen eher einschmuggeln konnte als Tiere. Eines Tages prangte ein großes Schild: NO PETS!, an der geheiligten Außentür, und Mrs. Ascott, die Urheberin dieses Schildes, nahm es verteufelt ernst mit dem Haustierverbot, wie ich von Emily erfuhr, die keine einzige ihrer geliebten Katzen hatte mitbringen dürfen.
    Da hatte ich sie immer noch nicht zu Gesicht bekommen, unsere Mrs. Ascott, und als ich eines Tages eine hinfällige alte Dame in den riesigen weißen Cadillac einsteigen sah, der zu unserem Ärger auf Dauer die eine Hälfte der Garageneinfahrt blockierte, wäre mir nicht im Traum eingefallen, in dieser Dame Mrs. Ascott zu vermuten, die ja schließlich den Titel »Manager« trug, also, wie ich dachte, funktionstüchtig zu sein hatte und das offensichtlich auch war, denn die Gruppe von zumeistpuertoricanischen Reinigungskräften, die zweimal in der Woche mein Apartment saubermachte und die Wäsche wechselte, eine Frau und zwei Männer, arbeitete auch sonntags, und die Frau, eine Schwarze mit kurzem krausen Haar, kräftigem Busen und ausladenden Hüften, die ich fragte, ob dies denn nötig sei, verdrehte die Augen und sagte in ihrem harten mühsamen Englisch, Mrs. Ascott sei »not good«. Da nahm ich mir vor, auf den monatlichen Fragebögen, die das Management ausgab und in denen nach der Qualität der Reinigungskräfte gefragt wurde, mein Kreuzchen ausnahmslos hinter die Note »excellent« zu machen. Ja, excellente Reinigung von living room, bedroom, bathroom und kitchen, Mrs. Ascott. Wenn Sie wüßten, wie egal mir das ist.

VOM ENDE HER ERZÄHLEN
    VOM ENDE HER ERZÄHLEN kann auch ein Nachteil sein, man kommt in die Gefahr, sich unwissender zu stellen, als man ist, zum Beispiel, was Mrs. Ascott betrifft, die ich unvermeidlicherweise doch eines Tages treffen mußte, falls das der richtige Ausdruck ist für unsere erste Begegnung. Eines Morgens huschte aus der Apartmenttür, die auf dem Treppenabsatz der meinen gegenüberlag, ein hageres weibliches Wesen mit zerzaustem weißen Haar, in einen groß geblümten Morgenrock gehüllt, vor mir die Treppe hinunter, ich erkannte die Cadillacfahrerin, die mit flinken leichten Schritten die im spanischen Kolonialstil gehaltene, etwas verstaubte Eingangshalle durchquerte und schnurstracks
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