Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt Aus Blut

Stadt Aus Blut

Titel: Stadt Aus Blut
Autoren: Charlie Huston
Vom Netzwerk:
dem anderen. Ich tue einfach das, was mir am naheliegendsten erscheint.
    In der Tasche des Penners finde ich ein dreckiges Kopftuch und wickle es ihm um den Schädel. Dann ziehe ich ihn hoch, lege erneut meinen Arm um ihn und führe ihn in Richtung Osten. Ich schwanke etwas, so als wären wir zwei Saufkumpane, die an einem Dienstagabend einen kleinen Spaziergang machen. Wir gehen den ganzen Weg bis zum East River Park. Dort setze ich ihn auf eine Bank am Flussufer und hole ein paar Steine aus dem Gebüsch hinter uns.
    Bald wird es dunkel sein. Die Leute joggen oder fahren mit dem Fahrrad oder auf Rollerblades vorbei, auf ihrem Weg nach Hause. Der Penner macht ein paar Versuche, sich einen von ihnen zu schnappen, aber seine motorischen Fähigkeiten reichen nicht mehr für diese durchtrainierte Beute.
    Es ist fast rührend zu beobachten, wie der arme Trottel schnattert und sabbert, während er zuckend nach den nylonbekleideten Gestalten schnappt, die an ihm vorbeirauschen. Fast möchte ich einem der Yuppies ein Bein stellen, um seinen Gesichtsausdruck zu beobachten, während der Clown auf seinen Rücken springt und in seinen Skalp beißt. Aber da spricht nur der Reaktionär in mir – die Scheißyuppies ruinieren eben mein Viertel.
    Ich nehme die Steine, trage sie zur Bank zurück und fülle die Taschen des Penners damit. Er schnappt nach meinem Kopf und versucht, mich zu beißen. Ich schlage seine Hände beiseite und drücke ihn gegen die Bank wie ein zappeliges Kind, das man für die Schule anziehen will. Bald darauf sind seine Taschen mit Steinen gefüllt. Ich ziehe ihn auf die Beine und führe ihn zum Geländer, das den Gehweg vom Fluss trennt. Wir stehen da, als würden wir die Aussicht auf Queens und das Domino-Sugar-Firmenschild genießen. Als kein Jogger mehr in Sichtweite ist, umschlinge ich seine Taille, lehne mich nach vorne und befördere ihn mit einem kleinen Hüftschwung über das Geländer. Mit einem lauten Platschen fällt er ins Wasser. Ob er noch ein Geräusch von sich gibt, bevor ihn die Steine nach unten ziehen, kann ich nicht mit Sicherheit sagen.
    Hat er etwas gefühlt? Geriet er in Panik, als das Wasser seine Lungen füllte? Vielleicht. Ich kriege keine Sonderprämie für humanes Töten. Ich habe getan, was getan werden musste. Als er nicht wieder auftaucht, überquere ich die Fußgängerbrücke über den FDR und nehme mir ein Taxi zurück zum Tompkins-Park. Die Duftspur des Penners führte von dort zu einer kleinen öffentlichen Grünanlage nähe der 12th, wo ich sie dann aber inmitten der Blumen, Pflanzen, Kinder und Familien verlor.
    Wie dem auch sei: So bin ich in diese Scheiße geraten. Indem ich lediglich versucht habe, das Naheliegendste zu tun.
     
    Nachdem ich aus Uptown zurück bin und mein Bad genommen habe, strecke ich mich auf dem Bett aus, um den verlorenen Schlaf nachzuholen. Aber der Sonnenbrand und der Anschiss, den ich gerade von Predo bekommen habe, lassen mir keine Ruhe. Es gibt so viele von Predos Sorte: meine Pflegeeltern, die Typen vom Jugendamt, die Bullen. Alles nur Arschlöcher, die darauf versessen sind, einen in die Schranken zu verweisen. Und was mache ich? Jedes Mal, wenn mir einer dieser Ärsche sagt, ich soll mich hinsetzen, den Mund halten oder sonst was tun oder lassen, platzt mir einfach der Kragen und ich rede mich noch tiefer in die Scheiße.
    Apropos Predo: Offensichtlich wusste er bereits von dem Überträger; und zwar früh genug, um ein paar Leute loszuschicken, die die ganze Sache für ihn hinbiegen sollten. Und da fällt mir Philip ein. Im Halbschlaf habe ich mich verplappert und ihm vom Überträger erzählt. Warum hat er mich überhaupt angerufen? Irgendwie hat er Wind davon bekommen, dass ich in der Scheiße stecke. Vielleicht ist er mir gefolgt und hat noch einen Teil der Show von gestern Nacht mitbekommen.
    Philip ist ein Haufen Scheiße. Er ist ein schleimiges Frettchen, das dauernd in der Nähe der Clans oder der Unabhängigen abhängt. Das gibt ihm das Gefühl, irgendwie zu einer exklusiven Gesellschaft zu gehören. Vor dreißig Jahren wäre er den Türstehern vom Club 54 in den Arsch gekrochen. Selbstverständlich hat er weder eine offizielle Position noch irgendwelche Beziehungen. Er wäre gern infiziert, ist sogar richtig geil auf das Vyrus, aber da spielen die Clans nicht mit. Und eine der kleineren, unberechenbaren Gruppen traut er sich nicht zu fragen, dazu ist er zu feige. Wenn denen ein Renfield wie Philip über den Weg läuft, sagen sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher