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Stadt Aus Blut

Stadt Aus Blut

Titel: Stadt Aus Blut
Autoren: Charlie Huston
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schon in der U-Bahn wäre. Die vier Straßen bis zur Station, und die gleiche Strecke noch mal, um in Uptown bis zu ihrer Eingangstür zu gelangen – das macht mir eine Heidenangst.
    Ich kenne einen Typen, der eine weiße Lieferantenuniform, weiße Latexhandschuhe und einen weißen Cowboyhut mit breiter Krempe trägt. Sein Gesicht reibt er mit Zinkoxid ein. Das schützt ihn ziemlich gut vor Sonnenlicht, aber dafür starren ihm selbst in Manhattan die Leute hinterher. Ich für meinen Teil verlasse mich auf meinen Burnus.
    Ich trage den Burnus über meinen Stiefeln, den weiten Hosen und dem Hemd. Der Turban ist das Schwierigste, weil ich mir nie merken kann, wie er gewickelt wird. Als ich ihn schließlich einigermaßen hinbekommen habe und nicht mehr befürchten muss, dass er mir vom Kopf rutscht, ziehe ich mir weiße Baumwollhandschuhe über, verberge mein Gesicht hinter einem Schleier, setze eine Sonnenbrille auf und wage mich nach draußen. Natürlich zieht dieser Aufzug auch Aufmerksamkeit auf sich, aber was soll’s – wenigstens kann keiner mein Gesicht erkennen.
    Wirkliche Sorgen macht mir die Frage, wie ich den Weg zur Haltestelle an der Kreuzung First und 14th Avenue möglichst schnell zurücklegen kann. Obwohl der weiße Stoff das Sonnenlicht reflektiert und es nur vier Scheißblocks sind, brennen mir die kurzwelligen UV-Strahlen ein Loch in den Pelz. Das ist überhaupt nicht mit den Schnittwunden von gestern Nacht zu vergleichen, die heute schon wieder verheilt sind. Sonnenlicht brennt wie die Hölle und noch Tage später schmerzt es unerträglich. Was passiert, wenn die Sonnenstrahlen auf meine nackte Haut fallen? Drücken wir es mal so aus: Ich passe verflucht gut auf, dass das nicht vorkommt. Also gehe ich schnell und denke dabei an Aloe und Eiswasser, während meine Haut langsam geröstet wird und mir hinter der Sonnenbrille die Tränen in die Augen steigen. Schließlich erreiche ich die U-Bahn-Station und eile die Treppe zum drückend heißen, aber zum Glück dunklen Bahnsteig hinunter.
    Uptown will mir eine Lektion erteilen. Sie hätten mir genauso gut am Telefon den Arsch aufreißen oder zumindest bis Sonnenuntergang warten können. Doch sie wollen mich leiden sehen. Sie wollen, dass ich mich tief bücke und die Strafe für meine Schlamperei entgegennehme. Der wahre Grund für den ganzen Mist ist jedoch, dass ich mich bis heute geweigert habe, der Koalition beizutreten. Und warum? Eben weil die Koalition genau solche Scheiße abzieht. Trotzdem – in der vergangenen Nacht war ich wirklich nachlässig, und jemand wird wohl oder übel seinen Kopf dafür hinhalten müssen. Also mache ich gute Miene zum bösen Spiel, lasse mich von der Sonne grillen, halte die Koalition bei Laune und bleibe am Leben. Und warum? Weil ich nicht sterben will. Komisch, und das obwohl ich bereits tot bin.
    Sie haben ein Haus an der 85th zwischen dem Madison Square Garden und der Fifth. Eine wirklich wertvolle Immobilie, eins dieser anonymen Backsteingebäude, das man auf den ersten Blick für ein Konsulat oder die sehr diskrete Praxis eines Schönheitschirurgen halten könnte. Das Guggenheim und die Met liegen auch gleich um die Ecke. Schon aufgrund dieser Adresse weiß man, woran man ist. Die Bewohner sind reich, steinalt, mächtig und haben viel Sinn für Tradition, leider jedoch nicht den geringsten für Humor.
    Drei Stufen führen mich zur Messingklingel. Eine Kamera beobachtet mich, während ich läute.
    – Ja, bitte?
    – Pitt.
    – Wer?
    – Joe Pitt. Ich habe einen Termin.
    Ich ducke mich in den schmalen Schatten des Eingangs.
    – Mr. Pitt? Könnten Sie bitte Ihr Gesicht der Kamera zeigen?
    – Ist das Ihr Ernst?
    – Mr. Pitt, ich muss Ihre Identität zweifelsfrei feststellen.
    Das ist Absicht, Teil eines überaus perfiden Plans. Mit der einen Hand ziehe ich den schützenden Turban zurück, mit der anderen nehme ich den Schleier ab. Die Sonne verbrennt meine Wangen und mein Kinn. In den nächsten Tagen werde ich aussehen wie ein gekochter Hummer.
    – Vielen Dank, Mr. Pitt.
    Der Türöffner summt, und ich betrete das Foyer. Überall edles Holz und gedämpfte Farben. Das Arschloch, das mein Gesicht sehen wollte, sitzt hinter einem Rezeptionsschalter. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich mich für einigermaßen gut gebaut gehalten. Falsch. Der Typ ist ein Schrank von einem Mann, neben dem ich richtig mickrig wirke. Er verlässt den Schalter und baut sich vor mir auf.
    – Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten, Mr.
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