Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Titel: Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman
Autoren: Peter Temple
Vom Netzwerk:
erinnern, wie du grad mal zwei Backsteine und einen Pisspott groß warst, und deine Mum dir kleine Roys-Pullis gestrickt hat«, sagte Wilbur.
    »Hab lange drüber nachgedacht«, erklärte Stan. »Der Kerl kriegt morgen 'ne Antwort.«
    Ohne einander auch nur aus dem Augenwinkel anzusehen, standen Norm, Wilbur und Eric auf. Charlie verließ seinen Barhocker. Müde stand ich auch auf und setzte eine drohende Miene auf.
    »Und was, Stanley«, fragte Norm, »und ich will, dass du wirklich noch mal genau drüber nachdenkst, was ist die Antwort?«
    Lange herrschte Schweigen. Stan blickte jedem von uns einzeln in die Augen, ein angedeutetes Lächeln im Gesicht, stellte das Glas hin, drehte sich um und begab sich wieder zu seinem Buch. Halb zu uns umgewandt sagte er: »Hab lange drüber nachgedacht.«
    Er nahm das Buch und schaute uns dann über den Tresen hinweg an.
    Wir warteten.
    »Schätze, ich sag ihm, er soll sich verpissen.«
    Wir setzten uns alle wieder hin und tranken weiter unser Bier.
    Um 18 Uhr 30 hupte draußen ein Auto. Drei Mal. Ich verabschiedete mich und ging mit Charlie raus. Der Wagen seiner Enkeltochter Augustine stand vor der Tür. Sie beugte sich zu uns herüber und machte die Beifahrertür auf.
    »Was hat die Gewerkschaft nur gemacht, um diese umwerfende Frau zu verdienen?«, fragte ich. Gus war ein aufsteigender Stern am Himmel der Gewerkschaftsbewegung. Sie sah aus wie Lauren Bacall mit Hirn, ein Anblick, der das Auge eines jeden alten Arbeiters erfreute.
    »Was hat Taub's Kunsttischlerei gemacht, um den atemberaubendsten Mann zu verdienen, der je zwei Stücke Holz zusammengefügt hat?«, fragte Gus zurück.
    »Sie verdienen es beide nicht«, sagte ich. »Wir sind diejenigen, die was verdienen. Könnten wir nicht irgendwie zusammengebracht werden?«
    »Hör mal«, sagte Charlie, während er mit dem Sicherheitsgurt herumfummelte. »In Kooyoung, die Bibliothek.
    Weißt du noch.«
    »Ich dachte, die hättest du nur erfunden.«
    »Leute, die mit Kriminellen zu tun haben, die erfinden Sachen. Gestern hat die Frau angerufen. Der Mann ist gestorben. Aber sie will sie trotzdem. Miss da nächste Woche aus.«
    »Ich habe noch Tische fertig zu machen. Kleine Tischchen. Einen Tag Arbeit für einen Mann, der wirklich arbeitet. Mehr für jemanden wie mich.«
    »Nächste Woche.«
    »Schaff ihn weg, Gus«, sagte ich. »Er hat einen spirituellen Moment ruiniert.«
    »Das ist eine Gabe«, sagte sie. »Liegt in der Familie.«

uf dem Heimweg war das Gefühl, etwas vollbracht zu haben, längst verflogen, und ich ging noch an einem Lokal in der St. Georges Road vorbei, um zum Trost chinesisches Essen mitzunehmen. Man kennt mich dort. Ich musste nicht bestellen. Als ich hereinkam, bellte Lester mich nur an: »Wie viele?« Bis vor Kurzem lautete die Antwort zwei. Dieser Tage hieß sie eins.
    Als ich die Wohnungstür aufmachte, überblickte ich mit Abscheu die Szenerie. Der nur wenig umgebaute Stall, in dem ich lebe, war kalt und unaufgeräumt und schmuddelig, abgewetzte Ledermöbel, vergraben unter Zeitungen, Büchern und beliebig verstreuten Kleidungsstücken.
    Freitagabend ist der zweitschlimmste Abend, um allein zu sein. Samstagabend ist der schlimmste. Am Sonntagabend denkt man dann, man hätte den Bogen allmählich raus.
    Die einzig richtige Reaktion besteht darin, zu handeln. Ich schaltete das Licht ein, kontrollierte den Anrufbeantworter, brachte die Heizung in Gang, ging nach draußen, um Holz zu holen, machte Feuer.
    Auf der Suche nach Rotwein fand ich in einer der unausgepackten Kisten die überlebende Flasche des 89er Maglieri Shiraz. Sie war in einem ungeöffneten Karton keine zwei Meter von der Bombe entfernt gewesen, die beinahe das gesamte Obergeschoss meiner vorherigen Bleibe in die Luft gejagt hatte, einer alten Schuhfabrik in Nord-Fitzroy. Elf Flaschen waren zerplatzt, die Glassplitter waren zehn Meter weit geflogen, ein dunkelroter Sprühfilm bedeckte alles. Die ersten Personen, die den Tatort betraten, hatten es für Blut gehalten, genug für mindestens zwei Menschen. Aber eine Flasche war auf mysteriöse Weise verschont geblieben, von einer leichten Abschürfung auf dem Etikett abgesehen. Ein Andenken an das Ende eines Lebensabschnitts.
    Dass Linda nicht auf dem Anrufbeantworter war, zeigte das Ende eines weiteren Lebensabschnitts an.
    Dies war nicht der rechte Augenblick für den Maglieri. Der verlangte nach einem Anlass zum Feiern. Dem Anfang von etwas Neuem, vielleicht. Im Moment befand ich mich auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher