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Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Titel: Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman
Autoren: Peter Temple
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Melbourne hasste den Erfolg. Er passte nicht zum Wetter. Melbournes Wetter passte zu grüblerischer Mittelmäßigkeit und selbstmörderischem Scheitern. Erfolg musste hier Schmerz, Opfer und Demut beinhalten, um akzeptabel zu sein. Sydney liebte den Erfolg, der ohne Aufwand erlangt und von Arroganz begleitet wurde.
    In diesem Zimmer hier hatte ich diese Dinge gesagt. Und ich hatte gesagt: »Um Himmels willen, nimm den Job an. Es ist doch nur ein paar Stunden entfernt. Wenn du's nicht machst, dann denkst du für den Rest deines Lebens: Was wäre wenn …?«
    Steven Levesque sagte gerade: Ich bin ein einfaches Par teimitglied, und von Zeit zu Zeit fragen mich Leute aus meiner Partei nach meiner Meinung, und ich sage sie ihnen. Ich kann mir vorstellen, dass sie von Dutzenden von Leu ten Meinungen einholen. Und das sollten sie auch tun.
    Dieses Jahr im Juli nahm der Premier von Victoria zehn Tage Urlaub. Er quartierte sich auf einem Anwesen na mens Domaine de Thierry auf Guadeloupe ein. Meinen In formationen zufolge gehört Ihnen dieses Anwesen, entgegnete Linda.
    Steven Levesque lachte, ein echt klingendes Lachen.
    Das tut es nicht. Eine Firma, an der ich beteiligt bin, besitzt es. Sie hat drei Objekte in der Karibik, die jedermann mieten kann. Jeder kann dort Urlaub machen. Sie können da Urlaub machen, Ms. Hillier. So wie ich das verstanden habe, war der Premier zu Gast bei jemandem, der die Do main gemietet hatte.
    Dürfen wir erfahren, wer das war?
    Noch ein Lachen. Selbst wenn ich das wüsste, Ms. Hillier, und ich weiß es nicht, würde ich es mit Sicherheit nicht Ih nen oder jemand anderem verraten.
    Ich leerte mein Glas. Jetzt konnte ich mich den Rest meines Lebens fragen: Was wäre, wenn ich Linda nicht ermutigt hätte, das Angebot von Channel 6 in Sydney anzunehmen? Wäre es so ein Glück gewesen nach dem Motto: Und wenn sie nicht gestorben sind? Welcher Idiot ermutigt denn die Frau, die er liebt, dazu, wegzuziehen, um bei den Medien Karriere zu machen?
    Es bringt nichts, über Fragen wie diese nachzugrübeln. Ich schaltete den Fernseher aus und ging in mein kaltes und einsames Bett.
    Das Bett wurde mit der Zeit warm, die Seele blieb kalt. Tief in der Nacht sah ich Bilder von geliebten Menschen. Ich sah ihr Lachen, hörte ihre Stimmen, die jetzt verstummt waren, hörte unser unkontrolliertes Lachen und spürte ihre Berührungen, die Küsse, die Umarmungen, die Hand, die liebevoll durch mein Haar fuhr. Alles weg. Absolut und unwiederbringlich fort.
    Ich erwachte noch vor dem Morgengrauen, unausgeschlafen, stand auf, kochte Tee, ging zurück ins Bett und las das letzte Kapitel eines englischen Romans, in dem die Leute generell ziemlich enttäuscht darüber waren, wie ihr Leben verlaufen war. Als ich mich umsah, bemerkte ich die hochgradig ungesunde Farbe, die meine Bettwäsche angenommen hatte, die schmutzigen Socken, mit denen der Boden übersät war wie mit den Hinterlassenschaften eines exotischen Tieres, den weißen Hemdsärmel, der wie eine unpassende weiße Fahne als Zeichen der Kapitulation aus dem Wäschekorb hing, und konnte diese Einstellung nachvollziehen.
    Ich stand auf, duschte, dachte darüber nach, wie ich den Tag herumbringen könnte. Die Tage. Während ich darüber nachdachte, vergingen sie. Samstag einkaufen und saubermachen. Sonntag Mittagessen mit meiner Schwester.
    Eine Schwester ist eine schwierige Angelegenheit. Zwei wären einfach. Bei dreien fängt man an, die Namen zu verwechseln. Bei vieren wird man zum Team-Maskottchen. Aber eine Schwester ist wie eine Mutter, eine kleinere Ausgabe und ohne die unangetastete Autorität, aber nichtsdestotrotz mit allen Mitteln ausgestattet, um einen dazu zu bringen, sich schuldig zu fühlen.
    Meine Schwester hat einen speziellen Blick. Er sagte vieles: Du machst nichts aus dir, du enttäuschst uns, diese Krawatte passt nicht zu diesem Hemd. Der einzige Weg, diesem Blick zu begegnen, besteht in einer Kombination aus Ausweichmanöver und Angriff.
    Am Sonntagabend kochte ich für die Tiefkühltruhe, zum ersten Mal seit einem Monat oder länger. Fleisch und Schinken in Rotweinsoße, Hühnerpastete mit Oliven, Zwiebeln und Sherry.

m Montagmorgen, aufgeschreckt durch etwas in einem Traum, an den ich mich nicht mehr erinnern konnte, stand ich früh auf. Bedrückt, mit leichter Übelkeit im Magen, wusch ich mich und fuhr noch im Dunkeln zu Taub's. Auf den Straßen war niemand außer einem Taxi voll mit Betrunkenen.
    Wie immer erfüllte mich Frieden, als ich in
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