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Sprengkraft

Sprengkraft

Titel: Sprengkraft
Autoren: Horst Eckert
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eindeutige Indizien. Wir wissen nur noch nicht, warum er den Sprengsatz gezündet hat.«

    »Dein Alter?«, wunderte sich die Marokkanerin.

    »Da kann ich Ihnen nicht helfen«, sagte Tonia. »Wir haben kaum noch Kontakt.«

    Anna legte den Ausdruck auf den Tisch. »Er hat Sie mit versteckter Kamera aufgenommen, Frau Still. Wir fanden zahlreiche Datenträger mit heimlich aufgenommenen Videos in seinem Keller.«

    »Dieser Arsch!«, fauchte Fatima.

    Anna schob das Print zu Tonia hin. Dabei bemerkte sie die Visitenkarte, die der Padre am Mittwoch zurückgelassen hatte.

    »Ich weiß von diesen Videos«, sagte Tonia, ohne einen Blick auf das Bild zu werfen.

    »Tatsächlich?«

    »Mein Vater ist verrückt. Er glaubt, er könnte mein ganzes Leben bestimmen.«

    »Woher wissen Sie davon?«

    »Dass er mich filmt, hat er mir selbst erzählt. Außerdem bricht er in meine Wohnung ein und schnüffelt herum, wenn ich an der Uni bin, da bin ich mir sicher. Fünf seiner Minikameras habe ich bereits gefunden und zerstört, aber er bringt immer wieder welche an. Was meinen Sie, wie oft ich deshalb schon umgezogen bin. Aber es hilft nichts. Es dauert keinen Monat und schon ruft er an und prahlt damit, dass er mich gefunden hat. Kontrolle ist sein großes Thema. Ich …« Sie begann zu schluchzen. »Ich traue mich kaum noch in meine eigene Bude.«

    Die Marokkanerin ergriff Tonias Hand. »Wir lieben uns.«

    »Fatima!«

    »Verstehst du nicht, Tonia? Das Versteckspiel ist endlich zu Ende. Dein Vater hat Leute umgebracht. Der sitzt jetzt im Knast und du bist endlich frei!«

    Tonia zog ihre Hand zurück, packte wieder den Kaffeebecher und starrte gegen die Deckenschräge, als könne nicht wahr sein, was sie gehört hatte.

     
    Schließlich begann sie zu erzählen. Von der Ehe ihrer Eltern, der krankhaften Eifersucht des Vaters und der Flucht der Mutter, als Tonia sechzehn war. Daraufhin übernahm Norbert Still die vollständige Regie über das Leben seiner Tochter und verbot ihr fast jeden Kontakt außerhalb der Schule, vor allem mit Jungen. Tonia wusste damals schon, dass sie lesbisch war – ihr Geheimnis, das Still trotz aller Überwachung nie entdeckt hatte.

    Nach dem Abitur hielt Tonia es zu Hause nicht mehr aus. Dass ihr Vater ihr keine Steine in den Weg legte, sie sogar finanziell unterstützte und ihr beim Umzug half, hätte sie stutzig machen sollen. Dann, im vorletzten August, hatte Still ihr unverblümt eröffnet, dass er sie seit über einem Jahr unter Beobachtung hielt.

    Tonia stützte ihren Ellbogen auf den Tisch und legte den Kopf in die Beuge – als ob sie sich klein und unsichtbar machen wollte. Fatima griff nach Tonias Hand und dieses Mal ließ die Freundin das zu.

    Anna ertappte sich dabei, dass sie mit Zanders Kärtchen spielte, und legte es zurück.

    Ihr fiel auf, dass sich die Schicksale der beiden Studentinnen ähnelten. Fatima war von ihrem Bruder verfolgt worden, Tonia von ihrem Vater.

    »Sie hätten zur Polizei gehen können«, sagte Anna.

    »Das hätte ihn nicht gestoppt«, antwortete Tonia, ohne aufzublicken.

    »Aber warum hat er die Bombe gezündet?«, fragte Paul.

    »Tonias Vater ist ein Nazi«, behauptete Fatima. »Er hasst Ausländer. Araber ganz besonders.«

    Annas Handy klingelte. Der Blick auf das Display sagte ihr, dass es Jonas war, der anrief. Ausgerechnet jetzt.

    Sie entschuldigte sich, ging hinaus in den Flur und zog die Küchentür hinter sich zu. »Hallo, Jonas«, meldete sie sich.

    »Ich habe Wolfsbarsch eingekauft, was sagst du dazu?«

    Also ist er schon länger wieder da, überlegte Anna. Typisch Jonas. Lässt tagelang nichts von sich hören und meint, beim ersten Lebenszeichen käme ich gerannt. – Allzu oft hatte sie das auch getan.

    »Das passt jetzt ganz schlecht«, antwortete sie. »Wir sind mitten in einer Zeugenbefragung. Es wird voraussichtlich spät heute. Ich ruf dich zurück, wenn wir fertig sind, okay?«

    »Immer noch die Moscheegeschichte?«

    »Ja. Warte mit dem Essen nicht auf mich.«

    Sie beendete das Gespräch und kehrte zurück in die Küche.

    »Was Neues?«, fragte Paul, als sie wieder Platz nahm.

    »Jonas«, antwortete Anna und war sauer auf den LKA-Kollegen, der ihre Gefühle so durcheinanderbrachte.

    Paul fuhr fort mit Fragen zur politischen Einstellung Norbert Stills. Die Tochter gab an, dass der Geheimdienstmann gern die angebliche Überfremdung Deutschlands beklage – »eben der übliche xenophobe Scheiß«, wie sie sich
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