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Sprechende Maenner

Sprechende Maenner

Titel: Sprechende Maenner
Autoren: Maxim Leo , Jochen-Martin Gutsch
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begnügen, du kannst vieles haben. Und mal ehrlich, wenn du die Wahl hast zwischen einer alten Frau und einer jungen Schauspielstudentin, willst du dann lange zögern?«
    Du wirst verstehen, Jochen, dass es niemanden gibt, von dem man solche Sätze weniger hören will als von seinem eigenen Vater.
    Sprichst du mit deinem Vater über Frauen?
    aw:
    Ich habe mit meinem Vater noch nie über Frauen gesprochen. Oder doch. Einmal. Ist vielleicht zwölf oder fünfzehn Jahre her. Ich hatte mit Suse meine Eltern besucht. Ich stand vor meinem Auto, wir wollten gerade losfahren. Mein Vater umarmte mich und flüsterte mir ins Ohr: »Das ist ein gutes Mädchen. Lass sie nicht gehen.« Dann drehte er sich um, ging durch das Gartentor und verschwand.
    Ich weiß nicht, ob mir das Reden fehlt. Eher nicht. Außerdem bezweifle ich, dass mein Vater mir Ratschläge geben könnte. Mein Vater lebt seit einem halben Jahrhundert monogam. Meine Eltern haben im September 1960 geheiratet, und ich will nicht ausschließen, dass mein Vater auch vorher schon monogam lebte, dass er überhaupt nie eine andere Frau hatte als meine Mutter. Er lebt ein Partnerschaftsmodell, das es kaum noch gibt. Die ewige, einzige Liebe.
    Mit diesem Modell wuchs ich auf.
    Ist das Modell gut? Ich glaube, es ist gut für meinen Vater. Es entspricht seiner Haltung, seinem Bild, seiner Moral, seinem Glauben, seiner Herkunft. Es entspricht seiner Liebe für meine Mutter. Ich schaue meinen Eltern gerne bei ihrer Liebe zu.
    Erich Kästner hat seine Lyrik mal Gebrauchslyrik genannt. Die Liebe meiner Eltern würde ich Gebrauchsliebe nennen. Das hat nichts Ab wertendes. Im Gegenteil, ich bewundere sie sehr. Sie haben es geschafft, ihre Gefühle über die Zeit zu retten, anzupassen, zu verteidigen.
    Meine Eltern sind jetzt ein altes Paar. Mein Vater ist 77, meine Mutter 75. Sie sind für mich nicht vorstellbar allein.
    Ich habe lange an das Modell geglaubt. Es steckt auch heute noch irgendwie in mir drin. Ich habe geahnt, dass ich mich davon entferne, als ich dreißig wurde. Jetzt mit 39 bin ich mir sicher, dass ich es wohl nicht leben werde.
    Ich will es nicht komplett ausschließen, aber es spricht nicht viel dafür.
    re:
    Was spricht dagegen?
    aw:
    Ich glaube, das Ehemodell, dein Modell, Maxim, gründet sich vor allem auf einer gewissen Genügsamkeit. Keine Genügsamkeit, die Lan geweile sein muss, Ödnis, Stumpfheit, sondern eine Genügsamkeit, die den Gedanken erträgt: Dort draußen ist noch ein besseres Leben, spannender, glücklicher. Man muss damit leben können, nicht zum Flughafen zu fahren und das Ticket nach Rio zu kaufen. Man muss mit dem Gedanken leben können: Ich fange nie wieder neu an. Nie. Das finde ich hart. Alles steht offen, die ganze Welt. Alles ist erreichbar. Orte, neue Leben. Uns hält keine Moral, keine Religion, kein Beruf. Internet und einen Laptop gibt es überall. Das Einzige, was uns hält, ist vielleicht so ein vages Gefühl von Heimat.
    Eine Sache fällt mir dabei auf, Maxim: Du lebst, weitgehend, das Modell meines Vaters und ich das Modell deines Vaters, was ein Hinweis dafür sein könnte, dass ich du bin und du ich.
    re:
    Ich finde den Begriff der Gebrauchsliebe sehr schön. Wenn die Liebe zu überhöht, zu romantisch wird, dann ist sie meist nicht mehr zu gebrauchen. Ich frage mich nur, woher deine Angst kommt, etwas zu verpassen?
    Mich machen zu viele Möglichkeiten eher unruhig. Ich bin froh, wenn es nur einen Weg gibt. Ich würde mir zum Beispiel einen Laden wünschen, in dem nur ein Schuhmodell verkauft wird. Und ein Jackentyp. Und eine Art von Strümpfen. Zu viel Auswahl strengt mich an. Was auch daran liegt, dass ich mich schwer entscheiden kann. Vielleicht bleibe ich deshalb gerne dabei, wenn ich mich einmal entschieden habe.
    Ich glaube nicht, dass ich genügsam bin. Ich bin eher ein Schisser. Ich spüre die Sicherheit, die mir mein festgezurrtes Leben gibt. Das klingt für dich vielleicht furchtbar, aber das ist es nicht. Ich finde Freiheit furchtbar, weil ich mich ständig entscheiden müsste. Weil es dann nur an mir selbst liegt, etwas aus meinem Leben zu machen. Ich bewundere dich dafür, dass du das aushältst. Ich kann immer sagen, meine Frau ist schuld, oder meine Kinder sind schuld. Als Familienvater bin ich nicht mehr verantwortlich für mich. Ich bin von der Frage nach dem Sinn des Lebens weitgehend
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