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Sprechende Maenner

Sprechende Maenner

Titel: Sprechende Maenner
Autoren: Maxim Leo , Jochen-Martin Gutsch
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befreit.
    aw:
    Lieber Maxim, niemand ist von der Frage nach dem Sinn des Lebens befreit. Man kann den Sinn mal vergessen oder ihn nicht finden, aber nicht danach suchen? Sich hinstellen und sagen: Bin befreit!?
    Wenn man ehrlich ist, sucht man immer nach irgendwas. Heute sprechen ja alle vom Ankommen. Schlag die Zeitungen auf, die Bücher, lies die Kontaktanzeigen: Alle wollen ankommen. Vor allem Frauen ab 30 und Männer ab 40. Ich bin umzingelt von Ankommern. Paare mit langweiligen Geschichten, langweiligen Urlauben, langweiligen Sonntagen, langweiligen Altbauwohnungen mit hohen Decken, langweiligen Espressomaschinen, langweiligen Herzen. Sie sind viel langweiliger als meine alten Eltern.
    Viel langweiliger als dein Vater, Maxim.
    Ich kann verstehen, wenn jemand sagt: Ich hätte gerne Begleitung in meinem Leben. Kann ich sehr gut verstehen. Aber ankommen?
    Ankommen heißt: Schuhe ausziehen, hinsetzen, und dann wird der Arsch ganz fett, und die Lichter gehen langsam aus. Ankommen ist ein öder Ort.
    Vielleicht renne ich deshalb hin und her. Das ist auch nicht gesund oder klug oder sinnvoll. Rumrennen ohne Ankommen – das ist, mehr oder weniger, mein Lebensziel. Ich möchte nicht 60 oder 70 oder 80 sein und dann denken: Ich war in meinem Leben immer ruhig und gelassen. Ich hatte meine Sehnsüchte im Griff, meinen Ehrgeiz, meine Unruhe, meinen Penis, meine Charakterfehler.
    Ich möchte versuchen, diese Dinge ab und an nicht im Griff zu haben.

Tag 5
    An dem die Vor- und Nachteile des Erwachsenseins diskutiert werden und die Frage auftaucht, ob zehn Sekunden Glück pro Woche für einen Mann reichen
    Lieber Jochen, ich möchte dir etwas sagen. Damit das ganz klar ist und du das auch verstehst, sage ich es ganz langsam: ICH BIN ZUFRIEDEN MIT MEINEM LEBEN . Manchmal bin ich sogar glücklich, vielleicht einmal pro Woche, was kein schlechter Durchschnitt ist. Wenn ich einmal pro Woche für, sagen wir, zehn Sekunden dieses schöne, warme Gefühl in mit spüre, das ich Glück nenne, dann habe ich am Ende meines Lebens wahrscheinlich mehrere Stunden in dem Zustand verbracht, dem die ganze Menschheit seit Tausenden von Jahren hinterherjagt. Mehr kann keiner verlangen.
    Da ich davon ausgehe, dass du mit diesem Gefühl nicht ganz so vertraut bist wie ich, beschreibe ich es dir: Man spürt ein wohliges Blub bern, als sei das Herz in eine Champagnerflasche gefallen. Dieses Gefühl ist meist genauso schnell verschwunden, wie es gekommen ist. Man kann es auch nicht bewusst herbeiführen. Es macht, was es will.
    Vor ein paar Tagen habe ich mit Catherine eine Regentonne durch den Garten unseres Wochenendhauses gerollt, weil wir Rasen gepflanzt hatten und die Erde planiert werden musste. Die Tonne war schwer, und es ging etwas bergauf. Irgendwann bin ich weggerutscht, klemmte mir den Fuß unter der Tonne ein, und Catherine bekam einen Lachanfall und fiel in den Schlamm. Ich sah Catherine lachend im Dreck liegen und spürte das Blubbern. Ich dachte in diesem Moment, dass es nur diese eine Frau gibt, mit der ich solche Sachen machen kann. Und dass es toll ist, dass ich sie gefunden habe. Dass sie mir gehört.
    Du kannst jetzt natürlich sagen, es sei spießig, ein Wochenendhaus zu haben. Und mit seiner Frau im Garten rumzukriechen sei der Beginn des Frührentnertums. Meinetwegen. Aber ich bin lieber ein glücklicher Frührentner als ein Rumrenner, der es nicht wagt, mal irgendwo anzuhalten, vor lauter Angst, zu sich zu kommen und womöglich zu bemerken, wie leer sein Leben ist.
    Du verkaufst mir dein Leben als großes Sinnsucherabenteuer, aber eigentlich hast du nur Angst davor, erwachsen zu werden. Du willst der kleine Jochen bleiben, der am Wochenende zusammen mit den anderen vierzigjährigen Kindern in den Club geht, mit Turnschuhen und Kapuzenpulli.
    Ich kann es kaum ertragen, wie du dein Leben in diesen Warteschleifen verplemperst. Du sagst: Es gehe darum, stets neue Sachen zu entdecken. Ich sage: Es ist wichtig, das zu genießen, was man hat. Vorausgesetzt, man hat etwas. Du sagst: Ankommen sei ein öder Ort. Ich sage: Komm doch erst mal an. Du brauchst keine Angst zu haben, etwas zu verpassen. Weil du sonst dein ganzes Leben verpasst.
    Ich würde dir das Gefühl gönnen, mal nicht mehr weiterzuwollen. Faust sagt: »Verweile doch, du bist so schön« und verliert seine Wette mit dem Teufel. Aber eigentlich gewinnt er sein Leben in diesem Moment
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