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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt
Autoren: Lilly Lindner
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blutigen Schnitten überdeckt.
    »Da waren doch eh keine Titten!«, sagte eine höhnische Stimme.
    Die anderen Männer lachten.
    Und lachten.
     
    Erinnerungen sind niemals im Gleichgewicht mit dem, was war. Und das Mädchen mit den zerschnittenen Brüsten ist die Einzige von all den jungen Frauen, die einen Namen in meinem Gedächtnis besitzt.
    »Wie heißt du?«, habe ich am zweiten Tag leise gefragt.
    Leise. Denn die Männer hatten gesagt, wir sollten unsere dreckigen kleinen Fickmünder nur zum Blasen und Schlucken öffnen. Ihre Stimmen waren Gewalt.
    Gewalt ist alles, alles, was ich kenne.
    Das Mädchen und ich, wir lagen nebeneinander auf einem der schmutzigen Betten, zuerst hat es gar nicht reagiert auf meine Frage, und ich war mir mit einem Mal nicht mehr sicher, ob ich überhaupt etwas gesagt hatte oder ob ich nur in meinen abgeschotteten Gedanken gesprochen hatte. Aber dann hat das Mädchen aufgehört zu weinen und seinen Kopf zu mir gedreht. Es sah leichenblass aus und zerstört; es lag da wie weggeworfen. In seinen roten, geschwollenen Augen lag ein gnadenloser Schmerz. Ich zählte die Blutstropfen, die von der Lippe des Mädchens auf das Laken herabfielen, und es war schwer, nicht den Blick abzuwenden oder einfach die Augen zu schließen.
    »Alena«, hat das Mädchen nach einer Weile geflüstert. Und dann, als könnte sie es nicht glauben, hat sie ihren Namen ein zweites Mal gesagt: »Alena.«
    Ihre Lippen waren fast regungslos dabei, und ihr Gesicht blieb ausdruckslos.
    »Ich heiße Lilly«, habe ich zurückgewispert, »Lilly.«
    Da hat es genickt, das Mädchen neben mir. Alena.
    Und ich habe geblinzelt.
    Wir haben zusammen unter Männern gelegen, die Sperma über unsere Gesichter gespritzt und unsere Arme verdreht haben. Unter Männern, die auf uns eingeschlagen haben, wenn wir unsere Beine nicht weit genug auseinandermachen konnten, und die nur so aus Vergnügen Kreise um unsere Brustwarzen geschlitzt haben.
    Ein paarmal haben sich Alenas und meine Fingerspitzen wie zufällig zwischen den zerwühlten Laken und den zerrissenen Kleidungsstücken gefunden. Ein winziger Hauch von Nähe, das kleinste Stück an Menschlichkeit. Das war alles, was ich noch hatte. Alena hat mich durch den Tag gebracht. Und durch die darauffolgende Nacht. Sie hat mir ihren Namen verraten. Und als ich meinen eigenen ausgesprochen habe, war ich genauso überrascht wie Alena, dass ich überhaupt noch einen besaß.
    Sie hat mir bewusst gemacht, dass ich ein Mensch bin. Trotz allem. Den Wert habe ich damals nicht begriffen, ich war zu sehr damit beschäftigt, nicht an Schwänzen zu ersticken. Aber Alena war meine Ausrede, um nicht vollkommen zu verschwinden. Sie war der Grund, weshalb ich weitergeatmet habe.
    Bis hin zum Sonntag.
    Dabei hätte ich nie gedacht, dass ich ihn noch erleben könnte. Dass wir alle ihn erleben könnten.
    Ich hätte nie geglaubt, dass sie uns gehen lassen würden.
    Vielleicht wäre es leichter gewesen zu sterben, denn irgendwann spürt man die Schläge sowieso nur noch wie von weit her. Was ändert da ein etwas tieferer Schnitt, der alles beendet?
     
    »Wir lassen euch davonkommen … was haltet ihr davon? Wollt ihr kleinen Nutten wieder zurück nach Hause?«
    Davonkommen.
    Davonkommen?
    Davon. Kommen.
    Keine von uns hat es gewagt, darauf zu antworten. Denn wenn sowohl die falsche Antwort als auch die richtige Antwort deine Würde zu einem nichtigen Flüchtigkeitsfehler erklärt, dann hältst du lieber deinen Mund.
    Wir saßen zusammengedrängt auf einem der Sofas in dem kargen Wohnzimmer und starrten auf unsere Kleidungsstücke, die auf dem Fußboden verstreut lagen. Ich hätte nur eine Hand auszustrecken brauchen, um mir ein Shirt oder eine Bluse zu greifen – aber ich wusste, dass mich nichts mehr bedecken würde. Wenn man einmal so entblößt und nackt war, dann braucht man sich eigentlich nie wieder etwas anzuziehen.
    Was ändert es noch.
    »Ich sage euch mal was«, die Stimme des Mannes klang, als würde er mit einer Herde schwerhöriger und debiler Schafe sprechen: »Ihr geht jetzt alle ins Bad und macht euch ein bisschen frisch, dann packt ihr euch wieder in eure Klamotten, und wir fahren jede von euch zurück nach Hause. Das ist doch wirklich nett von uns … nicht wahr? Aber natürlich machen wir das nur unter einer Bedingung: Ihr behaltet unsere kleine Party hier für euch und kommt nicht auf dumme Gedanken, wie etwa zur Polizei zu gehen. Ihr wollt ja schließlich nicht ausreizen, wie weit
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