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Splitter im Auge - Kriminalroman

Titel: Splitter im Auge - Kriminalroman
Autoren: PeP eBooks
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das dem des Vaters so sehr ähnelte. Er hatte seinen Bruder beobachtet, wie er ihm entgegenstieg und übermütig Faxen machte, sich nach hinten lehnte und so tat, als ließe er los, dabei aber immer näher kam und ihn fast erreicht hatte, so nah, dass er das Gefühl hatte, auch sein Bruder müsste es hören können.
    Aber dann war das Lachen gewichen, und der Körper hatte sich von ihm fortbewegt, wie von einer unsichtbaren Kraft gezogen, als würde er fliegen. Er hatte den aufgerissenen Mund gesehen und den Schrei vernommen, der mit einem Geräusch endete, wie er es noch nie gehört hatte.
    Das Hausmädchen, das am Sonntag frei hatte und sich auf der Wiese hinter dem Haus in die Sonne legen wollte, war die Erste, die es sah und sofort zu schreien begann. Dann kamen sie alle. Die Mutter, der Fahrer, die Köchin und als Letzter der Vater. Sie knieten und beugten sich über die leblose Gestalt und wirkten hilflos wie Kinder, weil keiner wagte, den Kopf anzufassen. Er hörte die Köchin wimmern, und das einzige Wort, das er verstand, war »tot«.
    »Was ist passiert?«, schrie sein Vater ihn an, und zum ersten Mal in seinem Leben sah er diesen Mann die Kontrolle über sich verlieren. »Was ist passiert?«, schrie er wieder, und in seinen Augen war Angst.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er.

2
    2010
    Steiger fiel das blaue Holzmesser ein.
    Er trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch und fluchte. Es war immer dasselbe, entweder sie schliefen, oder sie wurden hektisch. Das aufgesetzte Blaulicht zuckte für Sekundenbruchteile auf glotzende Gesichter in Seitenscheiben, das Martinshorn jaulte mit Mühe den Weg frei. Er überholte rechts, links, wieder rechts, hatte endlich freie Fahrt, aber nur bis zur nächsten Ampel. Zwei Meter, bevor er sie erreichte, schlug sie auf Rot. Steiger rauschte in die Kreuzung, ein Lkw von links bremste hart, Steiger sah im Rückspiegel, wie der Fahrer hinter ihnen herbrüllte. Jana Goll auf dem Beifahrersitz krallte sich am Griff über ihrem Kopf fest, sie schwieg.
    Die Konradstraße war verstopft, er bog ab, rammte den Bordstein, jagte mit Vollgas die Automatik durch alle Gänge, erwischte die nächste Ampel wieder bei Rot, aber endlich waren keine Rücklichter mehr vor ihnen.
    Auf der Einfahrt zur Residenz brach der Wagen aus, das Hinterrad fräste einen fein gezirkelten Bogen in den Rasen. Steiger bremste, Steinchen flogen, er stolperte hinaus.
    Die automatische Glastür öffnete sich so langsam, dass er sie mit der Schulter rammte und fast aus der Laufschiene riss. In der Eingangshalle hinter dem kleinen Tresen saß eine Frau, die er kannte, deren Namen er aber vergessen hatte. Als sie ihn kommen sah, trat sie nach vorn, stand ihm gegenüber, und von ihr ging diese Stille aus, die er befürchtet hatte. Er war nur ein paar Schritte gelaufen, aber atmete schwer. Die Frau ging auf ihn zu und fasste ihn am Arm auf eine Art, die auch den letzten Zweifel beseitigte.
    »Zu spät, ja?«, fragte Steiger.
    Ihr Gesicht über dem weißen Kragen blieb bewegungslos, der Blick war weich und ohne Furcht. Ein paar Sekunden wischten noch die Intervalle des Blaulichts über ihre Züge, dann erlosch es.
    »Verflucht.« Steiger schnaufte und schmolz mit jedem Atemzug ein wenig in sich zusammen. »Es war kein Durchkommen, das Übliche, die A40, dieser verdammte Verkehr, jetzt zum Feierabend, und all die Idioten, die … ach, eben alles«, sagte er.
    »Sie wären eh zu spät gewesen, Herr Adam. Als wir ihn fanden, schlug sein Herz schon nicht mehr. Wir haben noch alles versucht, aber … Meine aufrichtige Anteilnahme.« Sie sagte es geübt, aber nicht ohne Wärme. »Sie wollen ihn jetzt sicher sehen, oder?«
    Ihre Hand löste sich von seinem Arm, Steiger folgte ihr. Er kannte die Flure von seinen Besuchen, den Geruch nach scharfen Putzmitteln und würzigem Essen, die leeren Rollstühle in den Ecken, die Kinderzeichnungen an den Türen. Auf der obersten Stufe der Treppe blieb sie stehen und drehte sich ihm zu.
    »Sie waren schon länger nicht mehr hier, oder? Aber Sie kennen sich ja aus. Wir haben ihn schon ein wenig hergerichtet.«
    Steiger nickte, seine Schuhe quietschen auf dem Kunststoffboden, und vor einer Tür ohne Zeichnung blieb er stehen. Behutsam drückte er die Klinke nach unten, ging dann doch zügig hinein. Im matten Licht der Nachttischlampe lag sein Vater da, wie sie daliegen, die Toten, wenn man sie hergerichtet hat. Gerade, den Kopf ausgerichtet, die Hände artig auf der Brust gefaltet. Mit einem
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