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Spionin in eignener Sache

Spionin in eignener Sache

Titel: Spionin in eignener Sache
Autoren: Amanda Cross
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das sagte er ihr.
    Sie lächelte freundlich. Ein schnelles Lächeln. Eine Antwort kam nicht.
    »Sind Sie Professorin?« hörte er sich fragen. Sie sah wie eine aus. Verdammt, sie sah aus, als hätte man bei einer Schauspielagen-tur nach dem Prototyp einer Professorin gefragt – völlig humorlos, borniert und keine Ahnung, nach welchen Regeln gespielt wurde.

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    Diese Sorte kannte er. Sie tauchten in medizinischen Fakultäten auf und neuerdings, zu seinem großen Bedauern, auch an psychoanalyti-schen Instituten.
    »Ja«, sagte sie. Entgegenkommend war sie nicht, fragte ihn nicht mal, was er sei. Sie wollte es nicht wissen.
    »Ich bin Arzt«, hörte er sich sagen, verschwieg aber sein Spezialgebiet.
    »Ich verstehe.« Noch ein Lächeln. Sie hatte ein recht nettes Lä-
    cheln, das mußte er ihr lassen. Für eine alte, aus den Fugen geratene Frau. Plötzlich war er verlegen. Sie hatte ihm fest ins Gesicht geblickt, als sie sagte: »Ich verstehe«, und er war sich sicher, daß sie die ganze Zeit genau gewußt hatte, was er dachte. Typen wie ihm war sie schon oft begegnet. Bestimmt hatte sie sich die ganze Zeit eins in ihr Doppelkinn gelacht. Es war zum Verrücktwerden.
    Kein Wort würde er mehr mit ihr reden! Sie wandte sich wieder ihrem Buch zu, diesmal dem Hardcover über Freud, und er tat, als vertiefe er sich in seine Zeitung. Er kochte. Aber was hatte sie ihm eigentlich Schlimmes getan? Nichts, außer ihn in Ruhe zu lassen.
    Auf passiv-aggressive Art natürlich; nur so hatte sie seine Aufmerksamkeit erringen können, was sie genau wußte. Und er war drauf reingefallen. So war diese Sorte Frau eben; genau wie seine Mutter.
    Auf die eine oder andere Art mußten sie einen ständig fertigmachen.
    Nach der Landung holte sie ihre Reisetasche aus der Gepäckab-lage und verließ das Flugzeug vor ihm. Er sah sie die Gangway entlang zum Terminal eilen, wo sie verschwand.
    Nicht im Traum hätte er daran gedacht, die Sache auch nur mit einem Wort zu erwähnen, wäre die Polizei nicht bei ihm aufgetaucht.
    Man hatte ihn durch die Passagierliste ausfindig gemacht. »Aber was hab ich mit ihr zu tun?« hatte er zuerst gefragt. »Wir haben kaum miteinander geredet; und dann verschwand sie im Terminal.«
    Genau das war der Punkt, stellte sich heraus. Denn sie war nicht nur im Terminal verschwunden, sondern, allem Anschein nach, auch vom Erdboden. Seither hatte man nichts mehr von ihr gehört und gesehen.
    Er verspürte ein leichtes Triumphgefühl bei dieser Nachricht, aber das sagte er nicht, wiederholte nur, er habe kaum ein Wort mit ihr geredet, wie solle er der Polizei da weiterhelfen? Und erst nach hartnäckiger Befragung durch die beiden Ermittler kam die ganze Geschichte heraus. Wenn man von einer Geschichte reden konnte!
    Und da die Polizei darauf bestand, das Ganze auf Video aufzuzeich-10

    nen, war es nun für alle Ewigkeit archiviert. Zuerst hatte er einen trockenen Bericht geliefert, seine Gedanken und seinen Zorn verschwiegen, aber am Schluß zogen ihm die Ermittler alles aus der Nase. Auch viel später wußte niemand, der die Professorin gekannt hatte, was davon zu halten war: Hatte sie sich einen glorreichen Abgang verschafft, oder war ihr Verschwinden das Resultat einer weiteren typischen Erfahrung mit einem männlichen Akademiker-kollegen? Mit der Zeit neigte man zu letzterer Ansicht. Sie hatte sich in Luft aufgelöst, und kein Zweifel, Männer wie dieses herrliche Musterexemplar hatten sie dazu getrieben. Und doch – hätte sie ihnen die Genugtuung gegönnt, einfach zu verschwinden? Denn wer wußte besser als eine Frau in der Akademikerwelt, daß die meisten männlichen Kollegen, bekämen sie die Gelegenheit, sie genau dazu auffordern würden: sich in Luft aufzulösen.
    Und an diesem Punkt ruhte die Angelegenheit – für eine Weile.
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    Man nennt es Höflichkeit, aber in Wahrheit ist es nur Schwäche… Schwäche und die Unfähigkeit, ein erfülltes Leben unabhängig von Institutionen… und emotionalen Bindungen zu führen.
    John le Carré, ›Dame, König, As, Spion‹

    Als sich Kate Fansler nach vielen Monaten endlich dazu durchringen konnte, das hektische letzte Jahr noch einmal zu überdenken, fand sie eines im Nachhinein geradezu hellseherisch: daß ihr zu Beginn ausgerechnet George Smiley in den Sinn gekommen war, dessen letzte Abenteuer mit seinem sowjetischen Gegenspieler Karla sie damals gerade gelesen hatte. Man hatte sie eingeladen, einen Vortrag an ihrer alten Schule zu halten – eine jener
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