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Spionin in eignener Sache

Spionin in eignener Sache

Titel: Spionin in eignener Sache
Autoren: Amanda Cross
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anti-freudianischen Fraktion. Er war Psycho-analytiker, aber fest entschlossen, das vor ihr zu verbergen. Wenn sie anfing, ihm mit ihren Ansichten über Freud zu kommen, würde er ganz geduldig zuhören und dann wieder sein Nickerchen halten. Er mußte sowieso nachdenken.
    Angesichts seiner ausgeklügelten Abwehrstrategien irritierte es ihn allmählich, daß sie ihn überhaupt nicht beachtete. Als das Essen serviert wurde, mit Tischtuch und all den anderen kleinen Extras der ersten Klasse, las sie stur weiter; allerdings hatte sie ihr Buch gegen ein Paperback ausgetauscht. Zum Essen gönnte sie sich offenbar was Triviales. Sie hielt das Buch mit der linken Hand, während sie mit der rechten aß, und er konnte den Titel erkennen. John le Carré: Dame, König, As irgendwas. Im Grunde ihres Herzens war sie also ein einfach gestricktes Gemüt. Wie er hatte sie sich für Weißwein zum Essen entschieden, im Gegensatz zu ihm aber Fleisch statt Fisch bestellt. Es wurmte ihn, daß er sie mit weit größerem Interesse beo-bachtete, als sie ihn. Er mochte keine alten – pardon, ältere mußte man heute ja sagen – Frauen. Sie könnte fast seine Mutter sein, und seine Mutter mochte er ganz gewiß nicht. Er sah sie nur selten, genauer, überhaupt nicht. Sein Lehranalytiker hatte ihm geraten, den Kontakt ganz abzubrechen. Außerdem war er der Meinung, Frauen sollten auf ihre Figur achten, wenn sie in die Jahre kamen. Welcher Mann wollte sich schon mit ihnen befassen, wenn sie sich so gehen ließen? Ihre Nägel waren kurz geschnitten, und sie trug keinen Ehering. Hatte wahrscheinlich nie einen Mann gehabt. Lesbierin vielleicht, nein, ganz bestimmt, sagte er sich dann. Und bei dem Gedanken besserte sich seine Laune. Kein Wunder, daß sie ihn ignorierte; der ganze Sinn des Lesbentums war ja, Männer zu ignorieren, oder nicht?
    Nach dem Abendessen wurde ein Film gezeigt und das Kabinen-licht abgedämpft. Eine Weile las sie im Schein der kleinen Lampe über ihrem Sitz weiter in ihrem le Carré-Roman. Dann legte sie das Buch beiseite, streckte die Beine über ihre Tasche aus – mit ihren kurzen Beinen konnte sie das, im Gegensatz zu ihm mit seinen langen –, schloß die Augen und schien einzunicken. Als auch er die Augen schloß, merkte er, daß er auf die Toilette mußte. Das hieß, er 8

    mußte sie aufwecken und (entsetzliche Vorstellung!) über sie hin-wegsteigen und beim Zurückkommen noch mal! Er öffnete seinen Gurt, den er – es war ihm ein Rätsel – immer noch festgeschnallt hatte.
    Normalerweise öffnete er ihn schon, ehe die offizielle Erlaubnis kam. Er tippte ihr leicht auf die Schulter und erhob sich. Sie trat in den Gang, um ihn vorbeizulassen; als er zurückkehrte, saß sie nicht auf ihrem Platz, hatte offenbar die Gelegenheit genutzt, selbst die Örtlichkeiten aufzusuchen. Es blieb ihm also erspart, über sie hin-wegzusteigen, und sowie er wieder auf seinem Sitz war, stellte er sich schlafend, für den Fall, daß das kleine Intermezzo sie zum Reden inspiriert hatte. Aber kaum hatte sie sich gesetzt, dämmerte sie ein. Er beschloß, sich den Film anzugucken und grub die Kopfhörer aus; der Film war so idiotisch wie zu erwarten, und er ertappte sich dabei, wie er immer wieder zu ihr hinblickte. Es war wie ein Zwang.
    Und während er in ihr selbstgenügsames Gesicht sah, kam er sich vor wie jemand, der lauthals verkündet, nichts auf der Welt könne ihn bewegen, auf eine bestimmte Party zu gehen, und dann feststellen muß, daß er gar nicht eingeladen ist. Ablehnung ist immer schwer zu verkraften. Das mochte auch der Grund sein, warum er sie, unerklärlicherweise, gegen Ende der Reise ansprach.
    Die Stewardeß nahm die letzten Getränkebestellungen auf. Als sie bei ihnen anlangte, bestellte der Mann einen Courvoisier. Sie sagte, sie hätte gern einen Aquavit, wenn möglich. Mit einem Lä-
    cheln erklärte sie der Stewardeß: »Ich bin in Schweden auf den Geschmack gekommen, aber wahrscheinlich gibt es den auf diesem Flug nicht.« Doch es gab ihn. Und er hörte sich allen Ernstes auch einen bestellen, statt des Cognacs. Mittlerweile war ihm aufgefallen, daß sie Turnschuhe trug oder Joggingschuhe oder wie man es nannte, ein jedenfalls völlig unpassend sportliches Schuhwerk, was sein Urteil über sie noch ungünstiger ausfallen ließ. Trotzdem bestellte er ihren Drink. Er hatte keine Ahnung, warum. Höchstens weil auch er, wie er zugeben mußte, vor einigen Jahren in Skandinavien Aquavit schätzen gelernt hatte. Und
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