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Spinnenfalle

Titel: Spinnenfalle
Autoren: Nina Schindler
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Briefe, aber kam keine Antwort. Und weil sie nicht gewollt hat, dass ich schlechte Meinung von ihm bekomme, hat sie nicht erzählt. War zu traurig. Warum hat dieser - ähm - Jochen? - nie geschrieben?«
    Papa rieb sich die Nase. »Dazu gibt es sicherlich einiges zu sagen, aber ich vermute mal, es gibt eine ganz einfache Erklärung. Wenn ich mich richtig erinnere, ist er kurz nach unserer Rückkehr von Moskau nach München gegangen und hat dort weiterstudiert. Und wahrscheinlich wurde ihm seine Post nicht nachgeschickt, oder er hat keine neue Adresse hinterlassen, weil er noch nicht wusste, wo er landen würde.« Er drehte sein leeres Grappaglas zwischen seinen Fingern hin und her. »Jochen war ein sehr spontaner Mensch, er hat sich über Konsequenzen nie viele Gedanken gemacht.«
    »War?«, wiederholte Ljuba.
    Mama seufzte. »Er ist tot. Er ist vor ein paar Jahren gestorben. Ich glaube«, sie sah kurz zu Papa hin, »es ist jetzt drei Jahre her. Wir hatten wenig Kontakt zu ihm. Er hat in München gelebt und wir haben uns das letzte Mal kurz vor der Geburt der Zwillinge gesehen.«
    »Dann hat er mich ja gar nicht gekannt«, jammerte Kris.
    »Und mich auch nicht!«, trompetete Kathi.
    Papa musste grinsen. »Stimmt. Aber er war auch lange krank, da stand ihm der Sinn nicht mehr nach Reisen und Besuchen.«
    »Krank?«, fragte Ljuba.
    »Oh weia, heute kommen aber auch wirklich alle schlimmen Tatsachen auf den Tisch«, stöhnte Daniel. »Er hatte Aids, deshalb war er jahrelang krank. Erst war es HIV, dann wurde es schlimmer und die Krankheit brach voll aus.«

    »Was ist das für eine Krankheit?«, fragte unsere immer neugierige Kathi.
    »Schätzchen, das besprechen wir ein anderes Mal«, sagte Mama. »Nicht alles an einem Abend. Mir dreht sich schon der Kopf!«
    »Mir auch«, sagte ich. Aber das konnte auch an dem Grappa liegen, den ich getrunken hatte. Echt nicht mein Getränk, dachte ich und überlegte. Ich wusste nicht, ob ich Ljubas heimliche Abendausflüge aufs Tapet bringen sollte.
    Eigentlich hatte sie heute schon so viel einstecken müssen, dass ich ihr das ersparen wollte. Andererseits … schuldete ich ihr gar nichts! Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie mich aus meiner Familie rausgekegelt und sich an meinen Platz gesetzt.
    Ich sah Daniel an, er sah mich an. Wir wussten beide, dass Ljubas Geschichte noch nicht zu Ende war. Aber fast unmerklich schüttelte er den Kopf und ich blinzelte kurz mein Einverständnis.
    »Ich bin fix und alle«, erklärte Mama. »Kann ich mich auf mein bewährtes Team verlassen, dass ihr die Küche in Ordnung bringt? Ich hab jetzt das dringende Bedürfnis, mit Papa allein zu sein.«
    »Geht mir andersrum genauso«, sagte Papa, stand auf und zog Mama sanft mit sich ins Wohnzimmer.
    Ljuba sah auf ihre Uhr und quiekte. »Bin ich zu spät! Ist heute vorletztes Mal Kurs!«
    Und damit stürmte sie davon.
    Daniel und ich sahen uns an.
    »Ts, ts, ts«, machte er. »Dann wollen wir mal, einzige große Tochter Koopmann. Ich hoffe nur, du weißt in Zukunft deine wunderbare Familie mehr zu schätzen.«
    »Blödmann«, sagte ich und warf ein Geschirrtuch nach ihm.

    Aber irgendwie hatte er recht.
    Ich war heilfroh, dass ich nicht urplötzlich eine große Schwester gekriegt hatte.
    Dabei hatte ich mir mal eine gewünscht. Ganz früher.
    Aber kleine Schwestern sind in vieler Hinsicht viel besser …

    Als ich nach unten ging, linste ich zuerst vorsichtig in Richtung Bad, ob sie vielleicht drin war, weil ich ihr jetzt auf keinen Fall begegnen wollte. Aber sie war wohl wirklich zu ihrem Kurs gegangen.
    Ich war mir über meine Gefühle ihr gegenüber noch nicht im Klaren. Einerseits tat sie mir leid, weil sie so offensichtlich einem Traum nachgejagt war, aber andererseits hatte sie dauernd versucht, mich wie einen überflüssigen Kegel wegzukicken, hatte meine Eltern gegen mich aufgebracht und es fertiggekriegt, dass alle Welt mich für lieblos, eifersüchtig und paranoid gehalten hatte.
    Aber damit war jetzt Schluss.
    Die Badezimmertür war angelehnt, es brannte kein Licht. Ich huschte hinein und brachte das Zähneputzen und Waschen so fix wie möglich hinter mich.
    Dann flitzte ich in mein Zimmer, zog mich aus und kuschelte mich in meine Decke. Tante Henny hatte es mit einem Sprint geschafft, sich hinter mir durch die Tür zu zwängen. Sie legte sich an meine Füße und schnurrte.
    Ich wählte Marlons Nummer und schnurrte ebenfalls in freudiger Erwartung.
    Leider ging er nicht ran - na klar!
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