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Spin

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Titel: Spin
Autoren: authors_sort
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Lichtjahre unterwegs gewesen; garantiert hätten sie nicht allesamt in einer unendlich komplizierten Folge, die darauf angelegt war, den Erdlingen als gleichzeitig zu erscheinen, aufgehört zu leuchten. Außerdem, warf ich ein, war auch die Sonne ein Stern, und die schien ja noch, jedenfalls auf der anderen Seite des Planeten – oder nicht?
    Doch, natürlich. Und falls nicht, sagte Jason, wären wir bis zum Morgen alle erfroren.
    Also war es logischerweise so, dass die Sterne immer noch schienen, wir sie aber bloß nicht sehen konnten. Sie waren nicht verschwunden, sondern verdunkelt, verdeckt: eine Sternfinsternis. Ja, der Himmel war plötzlich zu einer schwarzen Leere geworden – aber das war nur ein Rätsel, keine Katastrophe.
    Ein anderer Aspekt von Jasons Kommentar allerdings hatte sich in meiner Fantasie festgesetzt: wenn nun die Sonne tatsächlich verschwunden war? Ich stellte mir vor, wie Schnee durch ewige Dunkelheit rieselte und wie dann die Luft, die frierende Luft, selbst zu einer Art Schnee würde, bis die ganze menschliche Zivilisation unter dem Zeug, das wir atmen, begraben wäre. Da war es doch besser, entschieden besser, anzunehmen, die Sterne seien »verfinstert« worden. Aber wovon?
    »Nun, offensichtlich von etwas Großem. Und Schnellem. Du hast gesehen, wie es passiert ist, Tyler. War es alles gleichzeitig oder hat sich irgendetwas über den Himmel bewegt?«
    Ich erwiderte, die Sterne hätten aufgeleuchtet und wären dann ausgegangen, alle gleichzeitig.
    »Scheiß auf die blöden Sterne«, sagte Diane. (Ich war schockiert: Diane benutzte solche Ausdrücke normalerweise nicht, während Jase und ich recht locker damit umgingen, seit wir ein zweistelliges Alter erreicht hatten; vieles hatte sich verändert in diesem Sommer.)
    Jason hörte die Unruhe in ihrer Stimme. »Ich glaube nicht, dass man sich Sorgen machen muss«, sagte er, obwohl ihm offenkundig selbst nicht ganz wohl war.
    Diane machte ein missmutiges Gesicht. »Mir ist kalt«, erklärte sie.
    Also beschlossen wir, ins Große Haus zurückzugehen und zu gucken, ob die Nachricht schon bei CNN oder CNBC angekommen war. Während wir über den Rasen liefen, war der Himmel fast unerträglich in seiner vollkommenen Schwärze, gewichtslos, aber trotzdem schwer, und dunkler, als ich je einen Himmel gesehen hatte.
     
    »Wir müssen es E. D. erzählen«, sagte Jason.
    »Erzähl du es ihm«, gab Diane zurück.
    Jase und Diane nannten ihre Eltern beim Vornamen, weil Carol Lawton den Anspruch hatte, einen progressiven Haushalt zu führen. Die Realität war allerdings ein bisschen komplexer. Carol war nachgiebig, nahm aber nicht viel Anteil am Leben der Zwillinge, während E. D. sich systematisch einen Erben heranzog. Dieser Erbe war Jason, versteht sich. Jason verehrte seinen Vater. Diane hatte Angst vor ihm.
    Und ich war nicht so blöd, mein Gesicht in der Erwachsenenzone zu zeigen, schon gar nicht im alkoholisch fortgeschrittenen Stadium einer Party bei den Lawtons; also drückten Diane und ich uns vor der Tür des Zimmers herum, in dem Jason seinen Vater aufgestöbert hatte. Wir konnten keine Einzelheiten ihres Gesprächs aufschnappen, aber der Ton in E. D.s Stimme war schwerlich zu verkennen: leidend, ungeduldig, cholerisch. Jason kam mit rotem Gesicht und nahezu weinend in den Keller zurück, worauf ich mich etwas umständlich verabschiedete und auf die Hintertür zuging.
    Diane holte mich im Flur ein. Sie fasste mich am Handgelenk, als wolle sie uns miteinander verketten. »Tyler«, sagte sie. »Sie wird kommen, oder? Die Sonne, meine ich. Am Morgen. Ich weiß, das ist eine bescheuerte Frage. Aber die Sonne wird aufgehen, stimmt’s?«
    Sie klang völlig hilflos. Ich wollte irgendetwas Flapsiges sagen – falls nicht, werden wir alle tot sein –, aber ihre Angst weckte auch in mir Zweifel. Was genau hatten wir gesehen und was bedeutete es? Jason war es offensichtlich nicht gelungen, seinen Vater davon zu überzeugen, dass etwas Bedeutsames am Nachthimmel geschehen war, also machten wir uns womöglich völlig unnötig Sorgen. Was aber, wenn die Welt wirklich vor ihrem Ende stand – und nur wir drei wussten davon?
    »Wird schon alles gut gehen«, sagte ich.
    Sie sah mich durch strähnige Haare hindurch an. »Glaubst du?«
    Ich versuchte zu lächeln. »Zu neunzig Prozent.«
    »Aber du wirst bis zum Morgen aufbleiben, nicht wahr?«
    »Vielleicht. Wahrscheinlich.« Tatsächlich war mir nicht nach Schlafen zumute.
    Sie machte die Telefoniergeste
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