Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spin

Spin

Titel: Spin
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
roch nach Tropen, vermischt mit dem Chlor aus dem Hotel-Swimmingpool drei Stockwerke unter uns. Padang war ein bedeutender internationaler Hafen, voll mit Ausländern: Indern, Filipinos, Koreanern, sogar versprengten Amerikanern wie Diane und ich; Leuten, die sich keinen Luxustransit leisten konnten und nicht die Voraussetzungen für von der UN anerkannte Umsiedlungsprogramme erfüllten. Es war eine lebendige, aber oft auch gesetzlose Stadt, vor allem seit die New Reformasi in Jakarta an die Macht gekommen waren.
    Das Hotel jedoch war sicher, und jetzt waren auch die Sterne in ihrer ganzen verstreuten Pracht aufgezogen. Der Scheitelpunkt des großen Bogens bildete den hellsten Fleck am Himmel, ein fein geformtes silbernes U (wie Unbekannt, Unkenntlich), verkehrt herum aufgemalt von einem legasthenischen Gott. Ich hielt Dianes Hand, während wir zusahen, wie er verblich.
    »Woran denkst du?«, fragte sie.
    »Daran, wie ich das letzte Mal die alten Sternbilder gesehen habe.« Jungfrau, Löwe, Schütze – das Lexikon des Astrologen, nur noch eine Fußnote in den Geschichtsbüchern.
    »Sie hätten von hier aus allerdings anders ausgesehen, oder? Südliche Halbkugel?«
    Ja, vermutlich.
    Dann, in der vollkommenen Dunkelheit der Nacht, gingen wir zurück ins Zimmer. Ich schaltete das Licht ein, während Diane die Jalousien herunterließ und dann Spritze und Ampullenkasten auspackte, in deren Gebrauch ich sie eingewiesen hatte. Sie füllte die sterile Spritze, runzelte die Stirn, ließ fingertippend eine kleine Blase heraustreten. Es sah alles recht professionell aus, doch ihre Hand zitterte.
    Ich zog mein Hemd aus und legte mich aufs Bett.
    »Tyler…« Plötzlich war sie diejenige, die Bedenken hatte.
    »Keine Diskussionen mehr. Ich weiß, worauf ich mich einlasse. Und wir haben das alles ein Dutzend Mal besprochen.«
    Sie nickte, dann rieb sie meine Armbeuge mit Alkohol ein. Sie hielt die Spritze in der rechten Hand, mit der Nadel nach oben. Die Flüssigkeit darin wirkte so unschuldig wie Wasser.
    »Das ist so lange her«, sagte sie.
    »Was?«
    »Dass wir die Sterne beobachtet haben, damals.«
    »Es freut mich, dass du es nicht vergessen hast.«
    »Natürlich hab ich’s nicht vergessen. So, und jetzt mach eine Faust.«
    Der Schmerz war nicht der Rede wert. Jedenfalls am Anfang.

 
DAS GROSSE HAUS
----
     
     
    Ich war zwölf und die Zwillinge waren dreizehn, in jener Nacht, als die Sterne vom Himmel verschwanden.
    Es war Oktober, wenige Wochen vor Halloween, und wir drei waren für die Dauer einer »Geselligkeit nur für Erwachsene« in den Keller des Lawtonschen Hauses – wir nannten es das Große Haus – beordert worden.
    In den Keller verbannt zu sein, bedeutete jedoch keine Strafe. Nicht für Diane und Jason, die einen großen Teil ihrer Zeit freiwillig dort verbrachten, und schon gar nicht für mich. Zwar hatte ihr Vater eine genau definierte Grenze zwischen der Erwachsenen- und der Kinderzone des Hauses abgesteckt, doch in dem uns zugewiesenen Bereich hatten wir eine brandneue Spielkonsole, DVD’s und sogar einen Billardtisch… und keinerlei Beaufsichtigung außer durch eine der Damen vom Partyservice, eine Mrs. Truall, die jede Stunde einmal nach unten kam, um sich vom Kanapeedienst zu erholen und uns mit neuen Informationen über den Verlauf der Party zu versorgen (ein Mann von Hewlett-Packard hatte sich mit der Frau eines Post- Kolumnisten daneben benommen; ein betrunkener Senator hatte sich in den Hobbyraum verirrt). Alles, was uns fehlte, sagte Jason, war Ruhe – auf der Anlage im Wohnzimmer lief Tanzmusik, die durch die Decke dröhnte wie der Herzschlag eines Monsters – und ein freier Ausblick auf den Himmel.
    Ruhe und Ausblick: typisch für Jason, dass er beides wollte.
    Diane und Jason waren im Abstand von wenigen Minuten geboren worden, sie waren aber offenkundig keine eineiigen Zwillinge; tatsächlich wurden sie von niemandem außer ihrer Mutter als »die Zwillinge« bezeichnet. Jason pflegte zu sagen, sie seien das Produkt eines »in gegensätzlich disponierte Eizellen eingedrungenen dipolaren Spermiums«. Diane, deren IQ zwar ebenso eindrucksvoll war wie Jasons, die sich aber eines zurückhaltenderen Vokabulars bediente, verglich sich und ihren Bruder mit »zwei Gefangenen, die aus ein und derselben Zelle ausgebrochen sind«.
    Ich bewunderte sie beide.
    Jason war mit seinen dreizehn Jahren nicht nur beängstigend klug, sondern auch körperlich überaus fit – gar nicht mal sehr muskulös, aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher