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Spin

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Titel: Spin
Autoren: authors_sort
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Ex-Raucherin, hielt Zigarettenpackungen in ihrer Frisierkommode, ihrem Schreibtisch und einer Küchenschublade versteckt – das wusste ich von meiner Mutter). Sie steckte sie sich zwischen die Lippen, zündete sie mit einem durchsichtig roten Feuerzeug an – die Flamme bildete sekundenlang den hellsten Punkt ringsum – und blies eine Rauchwolke in die Luft, die rasch in der Dunkelheit zerstob.
    Sie bemerkte, dass ich sie beobachtete. »Möchtest du mal ziehen?«
    »Er ist zwölf Jahre alt«, sagte Jason. »Er hat schon genug Probleme. Auf Lungenkrebs kann er da gut verzichten.«
    »Klar«, stieß ich hervor. Jetzt war es zu einer Ehrensache geworden.
    Amüsiert reichte Diane mir die Zigarette. Ich inhalierte vorsichtig und schaffte es, keinen Hustenanfall zu kriegen.
    Sie nahm sie zurück. »Übertreib es nicht.«
    »Tyler«, sagte Jason, »weißt du irgendetwas über die Sterne?«
    Ich schluckte eine Lunge voll klarer, kalter Luft. »Ja, natürlich.«
    »Ich meine nicht das, was du in deinen billigen Taschenbüchern liest. Kannst du mir irgendwelche Sterne nennen?«
    Ich wurde rot und hoffte, dass er das im Dunkeln nicht sehen würde. »Arkturus«, flüsterte ich. »Alpha Centauri. Sirius. Der Polarstern…«
    »Und welcher davon«, fragte Jason, »ist die Heimat der Klingonen?«
    »Sei nicht gemein«, sagte Diane streng.
    Die Zwillinge waren beide außerordentlich intelligent für ihr Alter. Ich war auch kein Dummkopf, aber ich konnte mich nicht mit ihnen messen – das war uns allen klar. Sie besuchten eine Schule für Hochbegabte, ich fuhr mit dem Bus zur Staatlichen Schule. Und das war nur einer von diversen unverkennbaren Unterschieden zwischen uns. Sie wohnten in dem Großen Haus, ich wohnte mit meiner Mutter in dem Bungalow am östlichen Rand des Grundstücks. Ihre Eltern hatten beide einen tollen Beruf, meine Mutter machte bei ihnen das Haus sauber… Irgendwie gelang es uns, diese Unterschiede zwar anzuerkennen, aber nicht ständig darauf herumzureiten.
    »Okay«, sagte Jason nach einer Weile, »kannst du mir den Polarstern zeigen?«
    Der Polarstern, auch Nordstern genannt. Ich hatte über die Sklaverei und den Bürgerkrieg gelesen. Dabei war ich auf ein Lied der flüchtigen Sklaven gestoßen:
     
Wenn die Sonne wiederkehrt, beim Schrei der ersten Wachtel,
Folge dem Trinkkürbis.
Der alte Mann erwartet dich, er trägt dich in die Freiheit
Wenn du dem Trinkkürbis folgst.
     
    Wenn die Sonne wiederkehrt – das hieß, nach der Wintersonnenwende. Wachteln überwintern im Süden. Der Kürbis war der Große Wagen, und das breite Ende der Schüssel zeigte zum Polarstern, gerade nach Norden, dort, wo die Freiheit wartete… Ich fand den Großen Wagen und fuchtelte hoffnungsfroh in die entsprechende Richtung.
    »Siehste?«, sagte Diane zu Jason, als hätte ich einen strittigen Punkt zwischen ihnen geklärt, von dem ich nichts wusste.
    »Nicht schlecht«, konzedierte Jason. »Weißt du, was ein Komet ist?«
    »Ja.«
    »Willst du mal einen sehen?«
    Ich nickte und streckte mich neben ihm aus, immer noch den beißenden Geschmack der Zigarette im Mund, worüber ich mich jetzt doch ärgerte. Jason zeigte mir, wie ich die Ellbogen auf den Boden zu stützen hatte, dann ließ er mich das Fernglas an die Augen führen und die Schärfe einstellen. Aus den Sternen wurden zuerst verschwommene Ovale, dann Stecknadelköpfe, viel zahlreicher, als man mit bloßem Auge sehen konnte. Ich schwenkte das Glas, bis ich den Punkt gefunden hatte – oder gefunden zu haben glaubte –, den Jason mir zeigen wollte: ein winziger phosphoreszierender Knoten vor dem tiefschwarzen Himmel.
    »Ein Komet«, sagte Jason.
    »Ich weiß. Ein Komet ist eine Art staubiger Schneeball, der auf die Sonne zufällt.«
    »So könnte man sagen.« Er klang etwas höhnisch. »Weißt du, wo die Kometen herkommen, Tyler? Sie kommen aus dem äußeren Sonnensystem – aus einer Art eisigem Halo um die Sonne, der von der Umlaufbahn des Pluto bis halb zum nächsten Stern reicht. Wo es kälter ist, als du dir vorstellen kannst.«
    Ich nickte – mit etwas Unbehagen. Ich hatte genug Science Fiction gelesen, um mir eine Vorstellung von der schier unfassbaren Weite des Nachthimmels machen zu können. Das war etwas, worüber ich manchmal gerne nachdachte, wenn es auch – etwa nachts, wenn das Haus ganz still war – ein bisschen beängstigend war.
    »Diane?«, fragte Jason. »Willst du auch mal gucken?«
    »Muss ich?«
    »Nein, natürlich musst du nicht. Wenn es dir
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