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Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall

Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall

Titel: Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
Autoren: Franziska Steinhauer
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gegeben hätte – nichts von all dem hätte passieren müssen. Aber sie konnte diese Heuchelei nicht mehr ertragen! Dieses Schöngerede. Wir kennen die Kehrseite der Medaille, schrie sie dann den Moderator an – wir haben das Blutgeld für euren Triumph bezahlt!«
    Das Schweigen wurde dick wie Eintopf.
    Nachtigall war geduldig. Dieser Mann wollte seine Geschichte erzählen, keine Frage, er wusste nur noch nicht, wie er beginnen sollte. Sie würden einfach abwarten.
    Winter räusperte sich, verknotete seine Finger, löste sie wieder, hustete leise. Rutschte auf dem Stuhl nach links, nach rechts, schob das feuchte Taschentuch in die Hosentasche, zögerte, holte tief Luft, atmete geräuschvoll aus.
    »Meine Tochter wurde in der Schule angesprochen. Früher gab es noch Leute, die im Schulsport Kinder beobachteten, um Talente zu entdecken. Fußball war damals noch kein Mädchensport – er sollte es aber werden. Manuela war vom Fleck weg begeistert. Warum sollten wir ihr Steine in den Weg legen? Mark, der jüngere Bruder von Manuela, war behindert, würde nie eine Sportskanone werden. Vielleicht sah meine Frau ja eine Art Entschädigung darin, dass unsere Tochter entdeckt worden war. Selbst als sie nach Potsdam wechselte, waren wir einverstanden.«
    Der kleine graue Mann seufzte tief. »Alles kam anders als geplant. Keine Karriere, dafür Schwangerschaft und die Geburt eines todkranken Babys. Der saubere Herr Vater lehnte jede Übernahme von Verantwortung ab. Ein feines Früchtchen.« Er griff nach den Taschentüchern, friemelte umständlich eines heraus und wischte sich die Tränen von der Wange. In seinen Bartstoppeln blieben einige weiße Fusseln hängen.
    »Papillon nannte meine Tochter die Kleine. Das ist Französisch und heißt Schmetterling.« Er griff nach der Tasse und trank hastig ein paar Schlucke Tee nacheinander. Er schüttelte sich. Lauwarm mochte er Früchtetee noch weniger. »Lange Zeit hoffte Manuela, dieser Kerl käme noch zur Besinnung. Sie träumte von der glücklichen Familie. Aber der Typ weigerte sich. Roland Keiser – er selbst nannte sich Andy, kam ihm wohl cool vor.« Die Augen Winters wirkten leer. Jeder Glanz war daraus verschwunden.
    »Der hat nicht nur Manuela sitzen lassen, sondern uns alle. Die Kleine hatte keine Chance, der Herzfehler war damals noch nicht operabel. Heutzutage kann man solche Eingriffe sogar noch vor der Geburt durchführen, im Mutterleib. Aber damals … Nach wenigen Wochen starb sie.«
    Er stockte. Dann löste sich ein verzweifelter Schrei aus dem schmächtigen Körper. »Durch die Hand der eigenen Mutter!« Peter Nachtigall schluckte schwer.
    Wie verloren musste sich dieser Mann jetzt vorkommen.
     
    »Niemand hat je davon erfahren. Doch das war erst der Anfang. Unser Sohn, damals selbst noch ein Kind, glaubte, er könne mit Roland im Gespräch alles klären. Wie Kinder eben manchmal so sind. Überschätzen sich gern. Und Mark liebte seine Schwester abgöttisch. Er wollte es für sie richten. Ihr Traum sollte sich erfüllen. Sobald Roland verstanden hatte, dass er Manuela heiraten musste, wäre das Problem gelöst! Mark steckte ein Messer ein. Warum, konnte er später nie erklären, oder er wollte es nicht. Das Gespräch unter Männern verlief nicht so wie geplant. Roland verhöhnte Mark. Vielleicht wusste er nichts von seiner Veranlagung zum Jähzorn. Wie dem auch sein, Roland ging zu jener Zeit an zwei Krücken. Mark hatte leichtes Spiel. Er stieß ihm das Messer in die Brust.« Winter barg das Gesicht in beiden Händen. »Meine beiden Kinder waren zu Mördern geworden. Am selben Tag.«
    Nach einer langen Pause fuhr er fort. Hastig, als fürchte er, man könne ihn daran hindern, sich all das Entsetzliche endlich von der Seele zu reden. »Meine Frau sah das anders. Das Schwein hatte bekommen, was es verdient hatte. Sie nahm dem Jungen das blutverschmierte Messer ab, schob es in den Blumenkasten auf dem Balkon, schickte Mark ins Bett und zog los, die Leiche zu bergen. Sie packte ihn in einen Pappkarton mit Holzrahmen. Den hatten wir im Keller. Verwandte aus dem Westen hatten uns darin einen Fernseher geschickt. Auf einer Paketkarre schob sie den Karton vors Haus und ein Nachbar half ihr ahnungslos, das schwere Ding in die Wohnung zu bringen. Der bekam ein paar Tage später ein Päckchen Westkaffee, angeblich aus dem Paket der Verwandtschaft, und hat die Sache sicher sofort vergessen. So fand Roland Keiser seine vorletzte Ruhestätte in unserer
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