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Spiel der Angst (German Edition)

Spiel der Angst (German Edition)

Titel: Spiel der Angst (German Edition)
Autoren: Veit Etzold
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Stadt. Dieses hochmütige Gesicht, das sich in eigentümlicher Weise von den durchdringenden, aber stets etwas traurig und melancholisch dreinblickenden Augen abhob, die gebogene Nase, deren Nüstern sich immer etwas nach oben reckten, so als würden sie Witterung aufnehmen, der Blick, der sie wie Dolche durchdrang.
    Er war es, weil es niemand anders sein konnte.
    Jonathan!
    »Willkommen, Ms Waters«, sagte er, nahm die Pistole zurück in die rechte Hand und verbeugte sich. »Sie haben uns leider, wie soll ich es sagen, zu einem ungünstigen Zeitpunkt erwischt.«

74
    Jonathan blickte Emily mit durchdringenden Augen an. Dann zuckte ihr Blick zu Ryan.
    »Ryan, dein irischer Prinz, ist zwar hier. Aber er ist noch längst nicht da, nicht wahr? Und umso wertvoller wird er für dich. Und warum?« Er wartete eine Sekunde und sprach dann weiter. »Weil er jetzt gerade nicht da ist. Was nicht da ist, wird begehrt. Was da ist, wird sofort langweilig.«
    Er ging einen Schritt auf den Abgrund zu und machte dann kehrt.
    »Es ist schlimm, wenn einem jemand nach dem Leben trachtet, aber noch schlimmer ist es doch, wenn das Leben eines lieben Menschen in Gefahr ist, nicht wahr?«
    Er grinste.
    »Denn wenn wir um den Tod eines Menschen trauern, dann trauern wir doch in Wirklichkeit um die nahen Angehörigen. Denn was passiert mit dem Toten? Entweder ist er weg oder er kommt in eine Art Himmel oder Hölle, was auch immer er verdient hat. Aber die, die zurückbleiben, auf Erden«, er zeigte auf Emily, »die leiden wirklich, je nachdem, wie sehr sie den, der gegangen ist«, dabei zeigte er auf Ryan, als wäre er schon tot, »je nachdem, wie sehr sie den geliebt haben. Denn es ist schlimmer, etwas einmal gehabt zu haben und dann zu verlieren, als niemals etwas gehabt zu haben.« Er starrte sie unverwandt an. »So wie die kurze Zeit in deiner Familie, die ich hatte, Emily Waters, und die mir dann weggenommen wurde!«
    »Ich habe dir schon gesagt, dass ich nichts dafür kann«, sagte Emily und funkelte Jonathan an. »Und auch wenn du Ryan und mich noch so quälst, daran wird sich nichts ändern.«
    »Ahaaa!« Jonathan zog in gespielter Affektiertheit den Kopf zurück. »Die Unverrückbarkeit des Schicksals, nicht wahr? Aber ich muss dich korrigieren. Sollte Ryan deswegen heute Abend hier und jetzt sterben, dann wird sich einiges ändern! Und zwar für dich, liebe Miss Emily Waters!«
    Er drohte schon wieder mit Ryans Tod.
    Emily hörte wie betäubt zu. Es war Gift, was da aus dem Mund dieses Psychopathen kam, nichts weiter.
    »Doch selbst ist die Frau«, sagte er dann, »und es ist ja noch nicht aller Tage Abend.« Er machte eine Geste über die grandiose Szenerie des Sonnenuntergangs.
    Dann verzog sich sein Gesicht, das eben noch höhnisch wie der Joker von Batman dreingeblickt hatte, in eine eiskalte Maske. »Genug geredet!« Er hielt den Auslöser in die Höhe. »Das Spiel läuft folgendermaßen, meine liebe Ms Waters. Ich zähle bis zehn. Dann aktiviere ich den Auslöser. Und dann …« Er genoss es, wie er die Worte in die Länge zog, »dann hast du eine Minute Zeit, um den Sprengsatz zu entschärfen. Doch pass gut auf …«, er senkte die Stimme, »wenn es dir nicht innerhalb von einer Minute gelingt, den Sprengsatz zu entschärfen, dann geht die Bombe hoch. Und nicht nur Ryan explodiert, sondern die ganze Etage hier.«
    Er trat einen Schritt zurück. »Irgendwann, innerhalb dieser Minute, wird sich die kleine Ms Waters die Frage stellen, ob sie die Zeit, die ihr von dieser einen Minute minus X noch bleibt, ob sie die dafür nutzt, um weiter an dem Sprengsatz herumzutüfteln, oder ob sie die Zeit nutzt, um zu flüchten, wissend, dass sie zwar selbst ihr Leben rettet, dass sie aber in dem Moment, wo sie sich in Sicherheit wiegt, die Bombe explodiert. Und sich ihr hochverehrter irischer Prinz an tausend Stellen als rötlicher Regen über New York verteilt.«
    Emily versuchte, die schreckliche Vorstellung, die Jonathan da eben an die Wand gemalt hatte, unter die Oberfläche ihres Bewusstseins zu drücken. Doch Jonathans Show war noch nicht zu Ende.
    »Es ist soweit«, sagte er. Dann blickte er Emily noch einmal an, und es schien, als würde seine statuenhafte Fassade, sein Gesicht, das alle Emotionen verbergen konnte, plötzlich für einen kurzen Moment erhellt, als würde eine Welle des Wohlwollens darüber fließen, ein letzter Strahl der Sonne zu einer bestimmten Zeit des Jahres in eine verborgene Höhle scheinen.
    Und dann begann
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