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Spiel der Angst (German Edition)

Spiel der Angst (German Edition)

Titel: Spiel der Angst (German Edition)
Autoren: Veit Etzold
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schmerzten.
    Als sie fast die Spitze erreicht hatte, hörte sie einen wütenden Schrei.
    Er schien von Julia zu kommen.
    »… nicht … raus … zu«, waren die Worte, die sie hörte.
    Emily griff zum Handy. Wählte Julias Nummer. Doch da war kein Freizeichen zu hören.
    »… Emily … kann … nicht … erreichen … eingesperrt …«
    Da dämmerte es Emily.
    Dieser Mistkerl! Er hatte Julia in dem Fahrstuhl eingesperrt! Und dann wahrscheinlich einen Mobile-Jammer oder was auch immer in die Kabine eingebaut, sodass sie nicht mit ihrem Handy nach draußen telefonieren konnte.
    In dem Moment piepte ihr Handy. Eine SMS.
    EINS GEGEN EINS, stand dort. AUF JULIA MUSST DU ERST EINMAL VERZICHTEN.
    Dieser verdammte Irre, dachte Emily. Hatte er etwa gewusst, dass Emily die Treppe und Julia den Aufzug nehmen würde? Oder war das Zufall, und er tat jetzt ganz allwissend?
    Einen Moment stockte sie. Sollte sie Julia befreien?
    Doch dann sah sie auf die Uhr. Die Zeit raste! Was half es, wenn sie Julia befreite, aber Ryan dabei starb?
    Noch vier Minuten.
    »Ich komme nachher zurück zu dir«, schrie Emily und hoffe, dass Julia es hörte.
    Dann rannte sie die restlichen Stufen hinauf, hörte Julias Schreien, das langsam leiser wurde.
    Sah die Tür.
    Öffnete sie.
    Und trat ins Freie.

73
    Noch drei Minuten.
    Die Plattform des One World Trade Centers befand sich in über vierhundert Metern Höhe. Eine Windböe erfasste Emily und hätte sie fast von den Füßen geworfen. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Wenn sie das Gleichgewicht verlieren würde, würde sie in die endlose Tiefe geworfen werden. Sie krallte sich an der Wand fest. Schloss die Augen gegen den eisigen Wind, der ihr entgegenblies.
    Dann zuckte ihr Blick nach vorn.
    Dort sah sie ihn, auf einem seltsamen Stahlgerüst gefesselt.
    Ihn, der mit traurigen, aber jetzt überraschten Augen in die Dämmerung schaute, hier oben in einem halben Kilometer Höhe.
    Sah ihn, der den schwarzen Sprengstoffgürtel trug, an dem irgendetwas rot blinkte.
    Sie sah ihn, der sie so anblickte, als würde er etwas von ihr erwarten und bei seinem Leben hoffen, dass sie es erfüllen könnte.
    Sie sah Ryan, den Mann, den sie liebte.
    Doch Ryan war nicht allein.
    Eine schwarz gekleidete Gestalt stand vor ihm, auf dem Kopf eine schwarze Maske, die nur die Augen freigab. In der Hand, die von schwarzen Lederhandschuhen bedeckt war, hielt die Person eine Pistole mit Schalldämpfer. In der anderen eine Apparatur mit mehreren Knöpfen. Irgendeine diabolische Stimme in ihrem Kopf sagte Emily, dass diese Apparatur etwas mit dem Sprenggürtel zu tun hatte, den der gefesselte Ryan trug. Vielleicht ein Fernzünder?
    Emily zitterte plötzlich vor Spannung, doch irgendwie hatte sie keine Angst, so als wüsste sie schon längst, was sie hier, in einem halben Kilometer Höhe erwarten würde.
    Die schwarze Gestalt näherte sich langsam, machte noch einen Schritt auf sie zu und blieb stehen, indem sie den zweiten Fuß an den ersten heranzog, elegant und geschmeidig, so als koste sie jeden Moment der Bewegung aus, so als genieße sie es, Emily so lange wie es nur ging auf die Folter zu spannen.
    Die Gestalt blickte einen Moment auf die zahlreichen Lichter der Stadt, auf das Meer zu ihrer Linken und die Landmassen zu ihrer Rechten, die sich nahezu unendlich erstreckten. Auf den Abendhimmel, an dem schon einzelne Sterne blitzten und den der Wind zu einem Flickenteppich machte, auf dem einzelne, zerfetzte Wolkenteile wie huschende Schatten vorbeizogen.
    Emilys Gedanken, dass nun irgendetwas geschehen müsste, mit dem sie nicht rechnen würde, der letzte Schritt der schwarzen Gestalt, das alles geschah in einer kurzen Sekunde – derselben Sekunde, in der die Gestalt die Pistole von der rechten in die linke Hand wechselte, zum Kopf griff und sich die Maske abzog. Emily konnte sich nicht bewegen, konnte nicht schreien, konnte nichts sagen, als sie in das Gesicht blickte, das vorher noch von dieser bedrohlichen Verkleidung der Maske bedeckt war, die nun fallen gelassen wurde und langsam zu Boden fiel. Sie kannte dieses Gesicht, und sie war darauf gefasst gewesen, dieses Gesicht zu sehen, auch wenn es eigentlich schon vor einem Jahr in einer Londoner U-Bahn-Station vollkommen entstellt worden sein und jetzt auf dem Friedhof liegen sollte.
    Sie hatte ihn erwartet.
    Sie wusste, dass es nur er sein konnte.
    Und am Ende war er es auch.
    Sie hatte das Gesicht erst vor einem Jahr gesehen, an einem anderen Ort, in einer anderen
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