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Spiel der Angst (German Edition)

Spiel der Angst (German Edition)

Titel: Spiel der Angst (German Edition)
Autoren: Veit Etzold
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des Turms sah und mit einem Ohr Julias Ausführungen lauschte.
    Seit 2006 wurde an dem riesigen Turm gebaut. Es sollten ungefähr zwölf Jahre nach den Anschlägen des 11. September vergehen, bis das One World Trade Center endgültig fertig sein würde. Wenn er fertig wäre, wäre das 541,3 Meter hohe Gebäude das höchste der USA und auch der westlichen Welt. Weltweit würde es nur zwei höhere Gebäude geben: den Burj Khalifa in den Vereinigten Arabischen Emiraten mit 829 Metern und der Makkah Royal Clock Tower in Saudi Arabien mit 601 Metern.
    Seltsam, dachte Emily, so als sollte dieser Turm die zwei Türme in der arabischen Welt in Schach halten – in der Welt, die höchstwahrscheinlich New York des alten World Trade Centers beraubt hatte. Ihr Vater hatte ihr früher einmal von den Versicherungsverhandlungen erzählt, die der Eigentümer des World Trade Centers mit der Versicherung nach dem Terroranschlag führte. Es seien zwei Türme, hatte der Mann gesagt, also wollte er auch zweimal Geld. Es sei aber nur ein Anschlag, hatte die Versicherung gekontert, also würde auch nur einmal gezahlt. Am Ende hatte dann der Besitzer der Türme gegen die Versicherung gewonnen, nachdem ein wochenlanger Prozessmarathon beendet worden worden war.
    Der Taxifahrer hatte Gas gegeben. Trotzdem hatte die Fahrt wertvolle Zeit vergeudet.
    Noch zwölf Minuten.
    Schließlich hatten sie den Bauzaun erreicht, der die gigantische Baustelle umschloss. Und wieder musste sie sich an das letzte Jahr in London erinnern. Am neunten September. Vor einem Jahr. Auch damals musste sie, im Auftrag des Irren, der sie auch diesmal wieder lenkte, einen riesigen Wolkenkratzer hinaufsteigen, der noch nicht fertig war. The Shard in London.
    Sie bezahlten den Fahrer, stiegen aus und blickten ehrfürchtig an der Fassade hinauf, die so hoch zu sein schien, als würde sie sich in den Himmel bohren.

72
    An der Südseite des Bauzauns befand sich eine Öffnung. Sie gingen geduckt durch den Eingang hindurch. Die Baustelle strahlte im Licht der untergehenden Sonne. Hier und da war noch einer der Arbeiter zu sehen, der aber offenbar keine Notiz von ihnen nahm.
    Noch zehn Minuten.
    Sie mussten sich beeilen.
    Einer der Aufzüge schien schon zu funktionieren.
    »Rein?«, fragte Julia.
    »Rein«, sagte Emily.
    Der Aufzug hob sich surrend und schnell in die Höhe. Dreißig Meter unterhalb der Spitze hielt der Fahrstuhl an.
    »Was ist das denn jetzt?«, fragte Julia und stemmte die Hände in die Hüften.
    »Keine Ahnung«, sagte Emily. »Vielleicht geht der Fahrstuhl erst einmal nur bis hier?«
    »Woher wissen wir eigentlich, dass der Irre uns gerade ganz oben erwartet?« Julia schaute Emily skeptisch an.
    »Na, wo soll der uns denn sonst erwarten? Das passt doch zu seinem Größenwahn.«
    Noch acht Minuten.
    Sie verließen die Aufzugkabine.
    Am anderen Ende des Ganges führte die Treppe nach oben. Daneben war ein Bauarbeiteraufzug. Längst nicht so komfortabel wie der erste. Er erinnerte Emily in grausamer Weise an die Fensterreinigungskabine, mit der sie sich gerade am Empire State Building fortbewegt hatte.
    Julia machte ganz selbstverständlich einen Schritt auf diese Kabine zu.
    »Willst du damit fahren?« Emily schaute ihre Freundin aus großen Augen an.
    »Womit denn sonst? Oder meinst du, ich will zehn Stockwerke laufen?«
    »Also gut!« Eigentlich hasste Emily enge Räume, vor allem, wenn diese so aussahen, als würden die Drahtseile, die sie eigentlich halten sollten, jederzeit reißen. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um über so etwas nachzudenken.
    Sie stiegen in die Kabine.
    Julia drückte den Knopf.
    Erst einmal passierte gar nichts.
    Doch anstatt nach oben zu fahren, ruckelte und schwankte die Kabine hin und her, als würde jederzeit das Stahlseil reißen.
    »Der funktioniert nicht«, sagte Emily. »Wir nehmen die Treppe.«
    »Du willst die ganzen Stockwerke hochrennen?«, fragte Julia, »mit dem Aufzug sind wir schneller oben.«
    Jetzt reichte es Emily. »Dann versuch du es weiter, und ich nehme die Treppe. Besser, wir bewegen uns beide irgendwie nach oben, anstatt uns hier zu streiten. Das Ding fährt doch überhaupt nicht! Fahrstuhl kommt schließlich von ›fahren‹!«
    Mit diesen Worten spurtete sie die Treppe nach oben, während Julia noch einmal auf den Knopf in der wackeligen Kabine drückte.
    Noch fünf Minuten.
    Sie stieg eine Treppenflucht nach der anderen hinauf. Bald klebte ihr der Schweiß an der Stirn, und ihre Beine
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