Spieglein, Spieglein an der Wand
den Tanztalenten der Schule. Wenn sie genug Mut aufbringen – denn die Hälfte des Publikums ist bereits besoffen, wenn die Show beginnt, und die meisten interessieren sich keinen Deut für diejenigen, die nicht bei ihnen im Jahrgang sind. Jeder Patzer auf der Bühne wird von höhnischen Zwischenrufen begleitet und natürlich sitzen die größten Kritiker immer in der ersten Reihe. Die Chance, sich lächerlich zu machen, ist groß, um nicht zu sagen unvermeidbar. Deshalb kapiere ich nicht, warum sich überhaupt jemand bereit erklärt.
Für mich hat die Show des Jahres jedoch eindeutige Vorteile, denn ich werde in den nächsten Wochen ziemlich viel Zeit mit Juliane verbringen. Mein Plan lautet also, die Veranstaltung vorzubereiten und gleichzeitig Juliane zu erobern. Jeden Dienstag und Donnerstag treffen wir uns zur Vorbereitung in der Kantine, und die guten Ideen, mit denen ich sie beeindrucken will, sprudeln nur so aus mir heraus. Bei unserem ersten Treffen beschließe ich gleich eine drastische Kürzung der Zeit für die Theatergruppe und den Chor auf zwei mal zehn Minuten, weil wir uns ja wohl problemlos coolere Sachen ausdenken können, um unsere Show auszufüllen, und ich wehre mich kategorisch dagegen, unseren Dänischlehrer Ole zu fragen, ob er zum zwanzigsten Mal mit seiner Nummer „So macht man aus einem Milchkarton einen Hausschuh“ auftreten möchte, denn selbst die, die ihn nie haben auftreten sehen, haben bereits die Nase voll davon. Noch vor unserem zweiten Treffen habe ich eine Elftklässlerin abgewiesen, die The Fog is lifting auf der Querflöte vorspielen wollte und erhalte deswegen Todesdrohungen ähnliche SMS von der vergrellten Flötistin. Ich glaube zu erkennen, dass mein Einsatz einen gewissen Eindruck bei Juliane hinterlässt.
Als ich Liv am Freitag vor der Party abhole, ist ihr die neue Frau in meinem Leben bereits aufgefallen. Das ist sicher auch nicht schwer, denn ich stand die ganze Woche in engem Kontakt mit ihr. Rasmus war natürlich auch dabei, im Grunde hat er sogar an uns geklebt wie feuchtes Klopapier, aber nicht einmal das konnte mich beirren. Es liegen Signale von Juliane in der Luft. Lächeln und Blicke, Wärme in ihrer Stimme und Wangenküsse zur Begrüßung und zum Abschied.
Während Liv und ich Richtung Gymnasium radeln, fragt sie, was ich mit der Blonden aus der Parallelklasse zu tun hätte. Ich erkläre, dass wir zusammen im Partykomitee sind. Liv nickt und fragt nicht groß weiter. Im Laufe des Abends sorge ich dafür, sowohl mit ihr als auch mit Juliane auf die Tanzfläche zu gehen, und ich fühle mich ein bisschen wie ein Player. Kurz bevor die Party endet, tanze ich lange mit Juliane und bin mir völlig darüber im Klaren, dass Liv uns beobachtet. Ich ziehe Juliane mit dem gesunden Arm an mich. Den kranken lege ich um ihren Rücken. Ein halbes Lied lang tanzen wir eng umschlungen. Ihr Atem an meinem Hals fühlt sich warm an. Ich überlege kurz, ob nun die richtige Stimmung für einen Kuss gekommen ist, als Juliane mich loslässt und einen halben Meter von mir zurücktritt. Ein typisches Mädchenbenehmen, immer geht es erst zwei Schritte vor, nur um dann zwei zurückzugehen, aber da stehe ich drüber. Irgendwann werden wir das Ziel schon erreichen. Das merke ich daran, dass sie mich lange umarmt, als die Musik aufhört und die rabiate Veronica mit einem Schlag das Licht anmacht und ins Mikrofon brüllt, die Party sei nun zu Ende. Juliane gibt mir einen schnellen Kuss auf die Wange und sagt, dass sie jetzt Bardienst habe, sie müssten aufräumen.
Anschließend bringe ich wie versprochen Liv nach Hause. Es ist beißend kalt. Der Wind stürmt von der See heran und dringt überall in die Kleidung. Wir sprechen den gesamten Weg über kein Wort, das Schweigen zwischen uns ist auffällig.
Liv bleibt vor dem Riesenhaus stehen, in dem nur im ersten Stock Licht brennt. Sicher warten ihre Eltern noch auf sie.
Sie schiebt ihr Fahrrad in die Einfahrt. „Tja dann, danke, dass du mich nach Hause gebracht hast.“
„Keine Ursache. So ist mir ein Schlussdienst mit Rasmus erspart geblieben.“
„Heißt das, du engagierst dich jetzt so richtig in diesem Komitee?“
„Ja, das kann man wohl so sagen. Auch wenn ich den Schlussdienst heute Abend abgesagt habe.“
Sie nickt und schiebt ihr Fahrrad in die dreifache Garage. Eigentlich rechne ich damit, dass sie zum Haus weitergeht, aber stattdessen kommt sie noch einmal zu mir zurück.
„Ich glaube, zur nächsten Party kann ich
Weitere Kostenlose Bücher