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SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

Titel: SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)
Autoren: Georg Mascolo
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nicht. Auch Männer sollten gezielt an den Pflegeberuf herangeführt werden, sagt zum Beispiel der Gesundheitsminister, er hofft auf den neuen Bundesfreiwilligendienst. Und er will all jene besser stellen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen. Ihr Einsatz solle bei der Bemessung der Rente berücksichtigt werden, findet er.
    "Wir müssen die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf fördern", sagt Ursula Lehr. "Dann kann der demografische Wandel gelingen. Ich baue zudem auf die Männer und rechne damit, dass die neuen wickelnden Väter auch pflegende Söhne sind." Die Altersforscherin war im Kabinett von Helmut Kohl Familienministerin und ist nun, achtzig Jahre alt, Vorstandsvorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft von mehr als hundert Seniorenorganisationen. Sie trägt einen pinkfarbenen Blazer und schweren Silberschmuck, sie hält noch beinahe täglich einen Vortrag, und sie weiß alle Daten auswendig.
    Seit 1997 ist die Zahl derjenigen, die wegen eines hilfsbedürftigen Familienmitglieds weniger arbeiten, von 26 auf 36 Prozent gestiegen. 47 Prozent der Pflegenden sind überhaupt nicht erwerbstätig. Das aber, sagt Ursula Lehr, könne in Zeiten des Fachkräftemangels doch dauerhaft kein Weg sein. "Außerdem zeigen die Studien, dass Angehörige eine bessere Lebensqualität behalten, wenn sie intensiv auch andere Aufgaben wahrnehmen."
    So ist die Frage, welchen Platz diese Gesellschaft den Alten einräumt, auch eine an die Arbeitgeber. Ursula Lehr schlägt ihnen vor, das Kantinenessen an die alten Eltern ihrer Mitarbeiter liefern zu lassen, und sie kann sich Seniorentagesstätten vorstellen, die an ein Unternehmen angebunden sind wie ein Betriebskindergarten. Auch die "Familienpflegezeit", das Projekt der heutigen Familienministerin, hält sie für sinnvoll. Wie ein Sabbatical sollten Arbeitgeber diese Phase handhaben, meint Kristina Schröder. Der Angestellte bezieht zwei Drittel seines Lohns, und wenn er wieder mit voller Stundenzahl arbeitet, verdient er so lange weniger, bis sein Gehaltskonto ausgeglichen ist. Sie ist beschimpft worden für ihren Vorschlag. Unzumutbar für Arbeitgeber, fanden die einen, völlig unzureichend, meinten die anderen. Eine Pflege sei doch nicht planbar nach zwei Jahren beendet. Außerdem müsse man solch eine Familienleistung ähnlich vergüten wie die Elternzeit. Und überhaupt: Wo stehe denn geschrieben, dass sich jeder um die alten Eltern kümmern wolle? Aus der Sicht jener aber, die es wollen, ist die Idee verlockend. Immerhin ließen sich so unbelastet vom Arbeitsalltag beste Lösungen und eine neue Routine finden.
    Einige Arbeitgeber bieten ihren Angestellten bereits andere familienfreundliche Leistungen – auch weil sie Gedanken, Engagement und Kraft im Unternehmen halten wollen. Sie kaufen "Eldercare" bei Dienstleistungsfirmen ein, Seniorenbetreuung im Paket. Ganze Abteilungen in diesen Firmen sind damit beschäftigt, häusliche Pflege zu organisieren, Widerspruch gegen Versicherungsbescheide einzulegen, geeignete Altersheime zu suchen oder eine Putzhilfe, die mit der wunderlichen Mutter zurechtkommt. Der "pme Familienservice" beispielsweise versorgt 370 Firmen mit "Eldercare", darunter den Norddeutschen Rundfunk, Ikea und H&M. "Wir haben Anfragen von Menschen in Lübeck, deren Eltern im Bayerischen Wald wohnen", sagt die koordinierende Psychologin Christine Jordan. "Wir beraten dann die Kinder in Lübeck, und unsere Zweigstelle im Bayerischen Wald forscht nach der entsprechenden Hilfe."
    Auch neue Arten des Wohnens könnten Angehörige entlasten, vor allem in jener Phase, in der alte Menschen noch keine Pflege, aber Unterstützung brauchen. Eine Lieblingsidee von Ursula Lehr ist der Gemeinschaftsraum in jedem Mehrfamilienhaus. Ein Tisch und ein Kühlschrank mit Bier und Saft sollten sich darin finden, Kreide und eine Schreibtafel: Morgen kaufe ich ein, wem soll ich was mitbringen? Ich muss am Samstag um drei zum Zug, fährt jemand Richtung Bahnhof? Mir fehlt die Glühbirne im Deckenlicht, kann die jemand einschrauben?
    "Wir werden niemals ohne professionelle Pfleger auskommen und auch nicht ohne Altersheime", sagt Jürgen Gohde. Im Gegenteil: Schon weil die Zahl der kinderlosen, auf sich gestellten Paare zunimmt, wird der Bedarf steigen. "Aber wir dürfen uns nicht allein auf Institutionen verlassen. Wir müssen um jeden Nachbarn, um jeden Ehrenamtlichen werben." Nur sie können das Unbezahlbare geben – Zeit.
    "Wir brauchen den Menschen in der Pflege", sagt Jürgen
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