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Spaetestens morgen

Spaetestens morgen

Titel: Spaetestens morgen
Autoren: Zoe Jenny
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es hört, wenn die Mädchen herauskommen. Dann wird sie ihre Pässe schon kriegen; das hat es noch nie gegeben, dass sie die Pässe nicht bekommen hat!
    Auf der Bettkante sitzend, öffnet sie die Knöpfe des Bezugs, mit Fingern, die rutschig sind vom Schweiß. Sie starrt auf den roten abgenutzten Teppich im Flur, und dann sieht sie sich selber in dem Spiegel, der im Flur an der Wand hängt. Sie wundert sich über das grüne Strickkleid und die Kette, die gar nicht mehr zu diesem Tag passen, und dann fällt ihr die vergangene Nacht wieder ein, und sie erinnert sich, wie ihre Mutter früher diese Bernsteinkette getragen hatte und wie das Geräusch sie nachts geängstigt hatte, wenn Mutter sie auf den Nachttisch legte, dieses unheimliche hohle Rieseln der Steine. Rosalie ist ganz in Gedanken versunken; sie hört nicht, wie sie herauskommen. Sie fingert immer noch an einem Knopf, als sie auf ihr Bett zuschreiten und ihr mit einem Ruck die Decke wegreißen.
    »Die Alte stellt sich an«, hört sie eine fremde Stimme sagen, während sie in eines der zur Straße liegenden Zimmer gestoßen wird und vornüber auf den Boden fällt. Rosalie ist unter einem Tisch gelandet und erkennt die Schnitzereien des Tischbeins. Einen Moment staunt sie, weil sie sich nicht mehr bewegen kann. Sie will etwas sagen, aber ein harter Gegenstand zerschellt dumpf auf ihrem Kopf, die Rosette am Tischbein vergrößert sich; ein Rad, ein unaufhörlich sich im Leerlauf drehendes Rad. Rosalie hört jetzt Lärm von der Straße, und hinter den zugezogenen Vorhängen blinkt es, wie von Hunderten von farbigen Lämpchen, als wäre da draußen ein rauschendes Fest.

Ballade vom Rhein
    (Für Jürg Federspiel)
    Es gibt keine Zufälle, so sagtest du.
    An einem frühen Abend in Basel, auf einem entleerten Marktplatz, stehen zwei Menschen an der Tramhaltestelle und suchen nach Kleingeld. Einer flucht. Das bist du. Du schaust mich an, musterst mich. Man erkennt sich, wie Tiere sich beschnuppern.
    Deine Bücher stehen bei mir zu Hause im Regal.
    Du seist gerade nach Basel gezogen, sagst du. Wir müssen uns mal treffen.
    Eine Frau mit einem Koffer steht neben dir. Wir tauschen Telefonnummern aus.
    Zu Hause nehme ich deine Bücher zur Hand. Man ist, wie man schreibt. Zwischen den Zeilen dein Zorn. In deinem Museum des Hasses habe ich mich ganz gern herumgetrieben. Was hast du in Basel verloren? Wieso verkriechst du dich hier? Wie ein Tier in seinem Bau.
    Ich lebe am Fluss. In einem Haus aus dem Mittelalter, 13. Jahrhundert. Die Mauern sind auch im Sommer kalt. Bei mir gibt es wenig. Ein Tisch, ein Stuhl, eine japanische Strohmatte zum Schlafen. Bücher natürlich. Und Koffer in allen Größen. Es ist, als lebte ich mehr aus den Koffern als in der Wohnung. Ich bin hier nur sporadisch, temporär. Das kennst du gut. Weggehen. On the road, ein Leben lang.
    Du wirst sehen.
    In Basel ist alles klar aufgeteilt. Der Lällekönig streckt der Kleinstadtseite die Zunge raus. Seit Jahrhunderten. Verachtung – gute alte Tradition. Dort komme ich her, von der Kleinstadtseite. Dem schlechten Teil. Du wohnst da, in einem Eckhaus, das passt zu dir. Eckhaus. Nur ja nicht mittendrin.
    Wir treffen uns zum Abendessen. Wir essen Fisch, so erinnere ich mich. »Pah!«, würdest du sagen und abschätzig lachen. »Erinnerung!« Du glaubst an nichts. Nicht mal an Erinnerungen. Falsch geleitete Hirnwindungen, sagst du, Bilder, Traumfetzen, alles ein Konstrukt. Spielereien des Gehirns.
    Du kommst in Fahrt, du fluchst über die Schweiz, über die Spießer. Es sitzt ein Teufel am Tisch. Er spuckt und speit und haut mit der Faust auf den Tisch. Die Teller klirren. Die Leute schauen, die Kellner gehen in Deckung. Ich lache. Dein Zorn, so frisch und jung. Ein Vergnügen. Wir werfen Steine in den stumpfen See wie Kinder, und dann haben wir gelacht, als die Weinflasche leer war, zwei Irre.
    Wenn man dieselben Filme gesehen und dieselben Bücher gelesen hat, entsteht so etwas wie Annäherung. Vielleicht Freundschaft. Wir mögen die Short Stories der Amerikaner. Jack London und Wind der Welt von Cendrars. Dem Wahnsinnigen. Wir haben den gleichen Ekel vor Hunden, noch mehr vor den Besitzern, das Hündische in ihren Gesichtern und das Vermenschlichte in den Hunden. Da sind wir uns einig.
    Von meinem Schreibtisch aus sehe ich den Rhein. In der Nacht höre ich die Ratten in der Dachrinne. Ihre Füße machen Kratzgeräusche. Vielleicht sind es auch Mäuse. Der Gedanke ist angenehmer. Doch es sind Ratten, die
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