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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld
Autoren: David Kessler
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ein Spiel. Um Gleichberechtigung ging es beim Sex jedenfalls noch nie.«
    Gene dachte einen Augenblick darüber nach und begriff, dass er gar nicht so unrecht hatte. Sogar auf ihre Beziehung mit Andi traf seine Interpretation zu. Was waren all ihre Rollenspiele anderes als die ritualisierte Ausübung von Macht und Kontrolle?
    »Okay … vielleicht hast du ja recht. Vielleicht ist Sex tatsächlich nur ein einziges großes Machtspiel. Aber bei diesem Spiel gibt es Regeln, genau wie in der Gesellschaft. Dort nennt es sich Gesellschaftsvertrag. Und die Menschen, die Teil dieser Gesellschaft sind, haben bestimmte Rechte. Wir alle haben die Pflicht, uns an die Regeln zu halten und die Rechte unserer Mitmenschen zu respektieren.«
    »Also ich hab kein Gesellschaftsvertrag unterschrieben, das is’ mal klar.«
    Ihr entging nicht, dass seine gewählte Ausdrucksweise in sich zusammenstürzte, wenn er wütend wurde, wie eine morsche Hausfassade in einem Gewittersturm.
    »Mir hat dieser tolle Gesellschaftsvertrag einen Dreck gebracht! Der hilft nur anderen Leuten, aber nicht mir, warum sollte ich mich also daran halten? Ich bin ein Tier, das den Gesetzen des Dschungels folgt. Und ich bin stolz darauf!«
    »Dann geh doch zurück in deinen Dschungel! Aber bring ihn nicht in unsere Städte!«
    Er sah sie mit einem breiten Grinsen an. »Ich nehme meinen Dschungel aber gerne überallhin mit. Das ist keine Rassenfrage, die meisten Ku-Klux-Klan-Anhänger würden mir da sicher zustimmen. Wenn sie denn intelligent genug wären.«
    Er drehte sich zu der panischen Martine auf dem Bett um und lächelte. Aber aus seinem Lächeln sprach keine Freude, sondern die bittere Wut, die er lange genug mit sich herumgeschleppt hatte.

Mittwoch, 2. September 2009 – 19.47 Uhr
    Claymore blickte sich verzweifelt um, während die Sonne über dem Meer unterging. Aber es war weit und breit niemand zu sehen, der ihm hätte helfen können. An anderen Tagen wäre auf der Brücke vielleicht noch etwas los gewesen um diese Zeit, aber nicht heute. Wer nicht im Verkehr feststeckte, saß vor dem Fernseher und verfolgte gebannt den letzten Tag des Baseballspiels.
    Mit einer enormen Anstrengung seiner Bauchmuskeln hievte Claymore Andis leblosen Körper auf Geländerhöhe und stützte die Ellbogen auf der obersten Strebe ab. So konnte er kurz verschnaufen, obwohl er ihren Körper jetzt durch den Druck seines Oberkörpers festhalten musste. Aber es gelang ihm, die Füße auf die Stahlträger der Brücke zu stellen und eine Hand vom Geländer zu lösen.
    Er beugte sich hinunter, umfasste Andis Taille mit dem linken Arm und stemmte sie unter Aufbietung all seiner Kräfte nach oben, bis er sie auf dem Geländer ablegen konnte. Anschließend drehte er sie auf den Bauch und manövrierte sie zurück auf die Plattform.
    Selbst hinüberzuklettern war im Vergleich dazu ein Kinderspiel. Auf der Plattform angekommen ging ihm auf, dass die Probleme jetzt erst anfingen. Denn als er einen prüfenden Blick auf Andis bewegungslosen Körper warf, stellte er fest, dass sie nicht mehr atmete und dass ihre Haut einen fast bläulichen Ton angenommen hatte.
    Sie war nicht nur ohnmächtig, sie hatte einen Herzstillstand. Er stürzte zu seiner Jacke, zog in fieberhafter Eile das Handy hervor und wählte die Notrufnummer.
    »Ich stehe auf der Golden Gate Bridge, mit einer Frau, die …«
    »Hat sie vor zu springen?«
    »Ich habe sie wieder zurück übers Geländer gezogen, aber ihr Herz ist stehen geblieben. Sie war stark angetrunken und hat möglicherweise auch Tabletten genommen. Ich brauche sofort einen Krankenwagen.«
    »Atmet sie noch?«
    »Nein, und ich kann auch keinen Puls fühlen.«
    »Okay, ich schicke sofort einen Krankenwagen. Wissen Sie, wie man eine Herz-Lungen-Wiederbelebung durchführt?«
    »Ich habe es mal im Fernsehen gesehen, aber ich weiß nicht mehr genau, wie es geht. Richtig gelernt habe ich es nie.«
    »Okay. Der Krankenwagen ist unterwegs. In der Zwischenzeit erkläre ich Ihnen, was Sie tun müssen. Legen Sie sie flach auf den Rücken, am besten auf eine harte Oberfläche.«
    »Hab ich schon.«
    »Gut, jetzt kippen sie ihren Kopf leicht nach hinten, um die Atemwege freizumachen.«
    »Okay«, sagte er und merkte sich diesen Schritt, ohne ihn sofort auszuführen.
    »Jetzt legen Sie beide Hände übereinander leicht links versetzt auf ihr Brustbein und führen mit dem Handballen fünfzehn kräftige Stöße aus.«
    »Fünfzehn?«
    »Ja.«
    »Und was dann?«
    »Dann
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