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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld
Autoren: David Kessler
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Genen. Männer sind darauf aus, sich fortzupflanzen und ihre Gene weiterzugeben. Und nur die starken Männer haben Erfolg.«
    »Aber doch nicht, indem sie Frauen vergewaltigen.«
    »Im Idealfall haben sie das auch gar nicht nötig. Im Tierreich gibt es keine Vergewaltigung. Die männlichen Tiere kämpfen gegeneinander, um herauszufinden, wer der Stärkste ist, und diesem Alphamännchen folgen die Weibchen dann ganz selbstverständlich und bereitwillig. Die schwächeren Männchen kriegen, was übrig bleibt. Der Mensch ist die einzige Spezies, bei der die Weibchen auf andere Attribute achten als Körperkraft, zum Beispiel auf Sympathie oder einen guten Charakter oder Wohlstand. Ein weibliches Tier braucht keinen guten Ernährer, weil es sich seine Nahrung selbst sucht oder jagt. Es sucht einzig und allein gute Gene, damit seine eigenen Gene in der Nachzucht fortbestehen. Sogar bei den Menschen wissen die meisten Frauen, dass der beste Ernährer nicht zwangsläufig der beste biologische Vater für ihre Kinder ist. Deshalb heiraten sie reiche Männer und betrügen sie dann mit Kraftprotzen aus der Unterschicht. Ehebruch liegt genauso in der Natur von Frauen wie in der von Männern.«
    »Woher weißt du das alles?«
    »Ich musste die ein oder andere Haftstrafe absitzen, und Bücher gehören zu den wenigen Dingen, die dort erlaubt sind. Manche Gefangene kiffen gern, manche trainieren. Ich lese eben Bücher. Ich habe mir den Kopf schon genug mit Dope vernebelt, und fit genug bin ich auch.«
    »Aber nicht stark genug, um den Drogen für immer den Rücken zu kehren«, entschlüpfte es Gene. In Erwartung von Mannings Reaktion hielt sie nervös die Luft an.

Mittwoch, 2. September 2009 – 19.35 Uhr
    Claymore rannte so schnell er konnte den Fußweg entlang und versuchte, Andi nicht aus den Augen zu verlieren. Als sie am südlichen Doppelpfeiler angekommen war und den Fußweg verließ, um die Aussichtsplattform hinter dem Pfeiler zu betreten, rutschte ihm das Herz in die Hose. Von dieser Plattform und ihrem Gegenstück am nördlichen Ende der Brücke pflegten sich die Selbstmörder in den Tod zu stürzen.
    Er erreichte den Pfeiler gerade noch rechtzeitig, um Andi mit einer Flasche in der Hand übers Geländer klettern zu sehen. Vor lauter Panik krampfte sich sein Magen zusammen. Wenn er ihr etwas zurief oder auf sie zueilte, bekam sie vielleicht Angst und ließ das Geländer los, zumindest falls ihre Entscheidung zum Selbstmord bereits feststand. Aber auch wenn sie noch unschlüssig war, würde sie sich vielleicht erschrecken und den Halt verlieren.
    Unentschlossen blieb er stehen und hatte das Gefühl, mit den Füßen am Boden zu kleben. Nachdem Andi auf die andere Seite des Geländers geklettert war, ließ sie es mit einer Hand los und nahm einen Schluck aus ihrer Flasche.
    Und dann sah sie ihn.
    Einen Moment lang klopfte ihm das Herz bis zum Hals, weil er glaubte, sie würde springen. Aber sie lächelte nur.
    »Hallo, Elias«, sagte sie. Ihre Stimme klang wie die eines kleinen Mädchens.
    Er blickte sie an. Einerseits fühlte er sich hilflos, aber andererseits auch eigenartig befreit durch die Tatsache, dass er ohnehin nichts tun konnte. Hinter ihr ging die Sonne unter, und im Gegenlicht konnte er ihre Gesichtszüge nicht erkennen. War sie glücklich? Traurig? Verloren? Schon viel zu weit weg?
    Er sah sich um. Auf der Brücke fuhren jede Menge Autos, aber hier, hinter dem Brückenpfeiler, waren sie von der Außenwelt abgeschirmt. Und weil ein wichtiges Baseballspiel stattfand, waren kaum Fußgänger unterwegs. Sie waren ganz allein.
    Er musste sie auf die einzige Art erreichen, die ihm zur Verfügung stand: mit seinem Verstand, seinen Worten.
    »Andi, tun Sie es nicht.«
    Obwohl er nur ihre Silhouette sah, spürte er, dass sie lächelte. Vielleicht, weil sie übermütig den Kopf schüttelte, bis sich ihre Haare lösten und in der Meeresbrise flatterten.
    »Was wollen Sie?«, fragte sie und stellte die Flasche auf die Geländerkante, um sich mit beiden Händen festzuhalten.
    »Tun Sie es nicht. Springen Sie nicht.« Bei einem Sprung aus dieser Höhe würde die Wasseroberfläche wie Beton wirken.
    Sie drehte den Kopf und betrachtete die fast hundert Meter entfernten Wellen. »Warum nicht?«
    Er wollte einen Schritt nach vorn machen, aber sie ließ sofort eine Hand los, als wollte sie ihm beweisen, wie leicht es war zu springen.
    »Nein! Warten Sie!«, flehte er und hob in einer Geste der Kapitulation beide Hände. »Andi,
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