Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sozialstaats-Dämmerung (German Edition)

Sozialstaats-Dämmerung (German Edition)

Titel: Sozialstaats-Dämmerung (German Edition)
Autoren: Jürgen Borchert
Vom Netzwerk:
Laufe der Zeit zunehmend zum Lohnsteuer- und Sozialabgabenstaat geworden … Die Lohnsteuerquote (Lohnsteuer bezogen auf die Bruttolohn- und -gehaltssumme) stieg von 7 % Anfang der 60er Jahre kontinuierlich auf zuletzt 19 %. Demgegenüber verringerte sich die Belastung der Gewinn- und Kapitaleinkünfte in Relation zu den Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen von 34 % Anfang der 80er Jahre auf gegenwärtig unter 20 % … im Trend der vergangenen 20 Jahre [ist] … in Deutschland eine deutliche Verschiebung zulasten der Arbeitseinkommen und zugunsten der Gewinn- und Vermögenseinkünfte zu beobachten … Im internationalen Vergleich liegt das Aufkommen der deutschen Vermögensbesteuerung in Relation zum BIP sehr niedrig. « 98
    Superreiche im toten Winkel auf der Überholspur
    Fragt man, warum die Sozialstaatsdebatte diesem Skandal immer noch so wenig Beachtung schenkt, so liegt das sicher an mehreren Gründen. Die soeben behandelte Intransparenz des Zustandekommens von Reichtum und damit die Undurchsichtigkeit unseres Steuer- und Sozialsystems ist einer davon. Einen anderen hat die taz -Redakteurin Ulrike Herrmann in ihrem Buch Hurra, wir dürfen zahlen 99 klug entschlüsselt: Die Justierung der Grenze des Spitzensteuersatzes bei knapp über 50 000 Euro Jahreseinkommen bewirkt, dass sich schon die untere Mittelschicht zur Elite zählt. Da das Nettoeinkommen dann aber in der Nähe dessen liegt, was auch eine Hartz-IV-Familie erhält, lenkt dieser Umstand den empörten Blick nach unten mit der Folge, dass der Reichtum im toten Winkel auf der Überholspur unbehelligt bleibt.
    Ein weiterer Grund dürfte darin liegen, dass die Summen der Riesenvermögen so unendlich abstrakt sind und ihnen offenbar immer noch der Anschein von Verdienst anhaftet, dass sie also auf Leistung beruhten. Dieser Eindruck dürfte in der Regel für die Begründung von – nicht ererbten – Vermögen auch zutreffen, kann allerdings seit einiger Zeit bei Topmanagern keine Geltung mehr beanspruchen, deren Gehaltsexzesse Bundestagspräsident Norbert Lammert zu Recht » fassungslos über die Skrupellosigkeit « hart kritisiert hat. 100 In der Tat, wenn man sich vor Augen hält, dass Bankmanager wie der Commerzbank-Vorstandsvorsitzende Klaus Blessing für ihr Scheitern und die Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen mit Einkommensdeckelungen auf 500 000 Euro Jahreseinkommen, das heißt etwa dem Fünfzehnfachen eines Facharbeiterlohnes, sanktioniert wurden, stimmen die Proportionen hinten und vorne nicht mehr. Dies umso mehr, als Bankerlegenden wie einst der Deutsche-Bank-Chef Hermann Josef Abs sich etwa mit dem Zehnfachen des Durchschnittseinkommens ihrer Mitarbeiter begnügt haben sollen (weil vielleicht die seinerzeit hohe Besteuerung dies unattraktiv machte?). 101
    Auch bei Milliardenvermögen sollte man den Respekt nicht übertreiben. Denn es sind überraschende Einsichten, wenn man die Ultravermögen in Alltagshorizonte übersetzt und dann den Maßstab anlegt, der sonst für Spitzenleistungen gilt. Dies hat der Karlsruher Jurist und Reichtumsforscher Harald Wozniewski getan, der in seinem Buch Wie der Nil in der Wüste 102 einen modernen Feudalismus beschreibt, den er »Meudalismus« nennt. Was, so fragt er seine Leser auf Seite 82 ff., muss man als Stundenlohn verdienen, um in vierzig Jahren bei jährlich 230 Arbeitstagen à acht Stunden auf ein Vermögen im Wert von 16,10 Milliarden Euro zu kommen? Basiert auf Angaben des manager magazin spezial 2006 hat er diesen Wert bei Karl Albrecht (Aldi Süd), dem Spitzenreiter seiner 300 Namen umfassenden Liste, ausgemacht. Die Antwort: 451 000 Euro! So viel also wie 80 000 Friseure. Anschließend versucht der Meudalismusforscher, einen Maßstab zu finden, der für Spitzenleistungen als leistungsgerecht anzusehen ist. Er findet ihn in der Besoldung von Richtern des Bundesverfassungsgerichts, die höchstqualifizierte Arbeit leisteten: Sie erhielten rund 120 000 Euro brutto im Jahr (2003). Für den Karl-Albrecht-Stundenlohn müssten drei Bundesverfassungsrichter somit ein Jahr lang arbeiten. Selbst die Bundeskanzlerin – Jahreseinkommen rund 210 000 Euro – müsste zwei Jahre arbeiten. Tatsächlich sind es ja auch nicht die Leistungen von Karl Albrecht, sondern die seiner 200 000 Mitarbeiter, die sein Vermögen so ins Unendliche wachsen ließen und die selbst mehr als die Hälfte ihres mageren Verdienstes bei Vater Staat abliefern mussten und müssen, damit dieser nicht bei ihrem Chef um
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher