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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich?
Autoren: Carol Hagemann-White
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Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu belegen. Francis Galton, der diese Erhebung durchführte, war zugleich am Beweis der rassischen Überlegenheit der Briten über die Kolonialvölker interessiert (er gründete auch die „Eugenische Gesellschaft“ zur Erhaltung der Reinheit britischen Blutes). Er glaubte, seine Überzeugungen wissenschaftlich bewiesen zu haben: daß britische Männer sowohl ihren Frauen wie auch anderen Rassen natürlich überlegen seien
(Sherif
1979, S. 115).
    Die spätere Entwicklung der Erforschung von Geschlechtsunterschieden wurde in den USA, wo der weitaus größte Teil der heute relevanten Forschung stattgefunden hat, von zwei weiteren Bereichen beeinflußt: von der Testkonstruktion und der Erforschung der Affen. R. M. Yerkes war eine Schlüsselfigur: als begeisteter Vertreter von „human engineering“ entwickelte er im ersten Weltkrieg Intelligenztests für die Armee, um angeborene Überlegenheit und Eignung für befehlsgebende Positionen zu ermitteln. In den 20er Jahren richtete Yerkes dann das erste umfassende Forschungsinstitut für die psychobiologische Untersuchung von Affen ein. Schwerpunkte der Forschung waren einerseits die Intelligenz, andererseits das geschlechtsspezifische Verhalten der Affen. Jedoch nicht nur vermittelt über die Erforschung der Affen sondern auch unmittelbar übte Yerkes Einfluß auf die Erforschung menschlicher Geschlechtsunterschiede aus. Er war 25 Jahre lang Vorsitzender des „Ausschusses für Forschung über Probleme des Geschlechts“, der von 1922 bis einige Zeit nach dem 2. Weltkrieg der wichtigste finanzielle Träger von Forschung über Geschlechtsunterschiede, über Hormone und Verhalten, über Ehe und Sexualverhalten in den USA war
(Haraway
1978, S. 27-30).
    Diese verschiedenen Tätigkeitsbereiche hatten eine – nicht nur von Yerkes vertretene – gemeinsame Ideologie: daß Dominanz und Unterordnung, Unterschiede in den Aufgaben und Privilegien zwischen sozialen Gruppen eine wissenschaftlich exakt meßbare „natürliche“ Grundlagen hätten. In Deutschland gründete
Pfitzner
(1902) eine Tradition der „Beweise“, daß Kopfumfang, Gehirngewicht, Intelligenz und soziale Schicht sich jeweils entsprächen, so-daß Klassenzugehörigkeit biologisch bedingt sei – ein Ansicht, die bei Humanbiologen wie Knussman (Autor der Stern-Serie 1982 über angeblich hormonell verursachte Geschlechtsunterschiede) bis heute fortgesetzt wird
(Seidler
1981). Der Rassismus dieser Ideologie in Deutschland richtete sich besonders gegen Osteuropa; z. B. verglich W.H. Riehl die Frauen mit den Slaven als beide natürlich unterlegen (vgl.
Janssen-Jurreit
1976, S. 84ff.). In den USA wurden IQ-Tests entwickelt, die bis heute nachteilig für ethnische Minderheiten sind; ihre Verwendung zur Feststellung von Beförderungseignung in der Armee beließ Schwarze systematisch in untergeordneten Stellen. Bei der Geschlechterforschung wurden und werden Schwarze weitgehend ausgeklammert.
    Von zentraler Bedeutung in dieser Ideologie war und ist der Begriff der
Natur,
worüber insbesondere das Studium der Menschenaffen Aufschluß geben sollte. Denn die Suche nach einer – von aller Kultur noch „unverdorbenen“ – menschlichen Natur verengte sich rasch auf die Unterschung der Physiologie der Fortpflanzung; für die Menschenaffen wurde beispielsweise von Zuckermann verallgemeinernd behauptet, die Regelung der Fortpflanzung determiniere das gesamte Sozialverhalten der Gruppe
(Haraway
1978, S. 43-44). Vermutlich erschien diesen Wissenschaftlern die Sexualität des Menschen auch als ein Stück ungebändigte Natur. Zudem verstärkte wohl die Rezeption von Freuds Theorien die Annahme, daß die Sexualität weitreichende Auswirkungen auf das Sozialverhalten der Menschen habe. Jedenfalls haben die Forscher, die über Affen schrieben, oft und gerne die Ansicht der alles determinierenden Wirkung der Sexualphysiologie auf die Menschen übertragen. Natur hieß also immer auch
Geschlecht,
und zwar als etwas, was die Menschen in allem, was sie tun und lassen, jeweils von einander unterscheidet.
    Es ist in der empirischen Psychologie üblich gewesen, evtl. auftretende Geschlechterdifferenzen in den jeweiligen Meßwerten mitzuteilen. Da dies in der Vorannahme geschah, daß die Geschlechter unterschiedlich sind, wurde, wenn kein Unterschied auftrat, dies nicht berichtet, oft sogar das Geschlecht der Versuchspersonen nicht erwähnt. Sehr viele der Forschungsergebnisse, die als Beleg für
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