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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich?
Autoren: Carol Hagemann-White
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Schulleistungen scheinen auch wesentlich leichter durch sozialpolitische Bemühungen aufhebbar als solche der sozialen Schicht. Dies kann an der Entwicklung des Anteils der Mädchen an Abiturprüfungen in der Bundesrepublik und Westberlin beobachtet werden. Welche Unterschiede in der kognitiven Feinausstattung von Menschen die Forschung noch entdecken mag, sie vermögen kaum die erheblichen Unterschiede zwischen den Lebensläufen, den Berufsbiographien und den familiären Belastungen zwischen den Geschlechtern zu erklären.
    Mehr Aufschluß über die Entstehungsbedingungen geschlechtstypischer Lebenslagen wäre von der Erfassung unterschiedlicher, geschlechtstypischer Persönlichkeitsmerkmale zu erwarten. Die Verfahren, die eine Selbstbeschrei-
    bung anhand vorgegebener Kategorien auf einer Skala einholen, bestätigen dann auch, daß Frauen und Männer unterschiedliche Mitteilungen über ihr
    Selbstbild machen. Gerade diese Forschung zielt aber auf einen Bereich, der mit normativen Vorgaben dicht gesät ist. Es bleibt unklar, inwieweit die Befragten die „sozial erwünschte“ und für ihr Geschlecht angepaßte Antwort geben. Subtiler noch ist die Schwierigkeit, daß jemand das eigene normabweichende Verhalten wie durch ein Vergrößerungsglas sehen könnte. In der Sozialpsychologie ist bekannt, daß gleiches Verhalten unterschiedlich wahrgenommen und bewertet wird, je nachdem, ob eine Frau oder ein Mann es tut. Es ist davon auszugehen, daß dies genauso für die Selbstwahrnehmung gilt.
    Für die Erhebung von Selbsteinschätzungen spricht der Grundsatz, daß die Menschen sich selbst am besten kennen. Außerdem können solche Erhebungsverfahren für größere Populationen standardisiert werden und sind dann leicht und zuverlässig anzuwenden. Inwieweit dabei stabile „Eigenschaften“ erfaßt werden, dürfte so umstritten wie die Eigenschaftspsychologie selbst sein. Überzeugender sind Ansätze, die Lernfähigkeit und Veränderungen durch den ganzen Lebenslauf annehmen und die situationsspezifische Ausrichtung des Verhaltens betonen. Dem widerspricht nicht, daß eine bestimmte Selbstwahrnehmung für eine gewisse Zeit und in den meisten Alltagssituationen gelten wird. Wenn aber etwa
Spence
und
Helmreich
(1978) den Anspruch erheben, mit solchen schriftlichen Selbsteinschätzungen „den psychologischen Kern von Weiblichkeit und Männlichkeit“ zu erfassen, ist dies deutlich überzogen. Sogar diese Autoren betonen aber, daß die in der Selbsteinschätzung mitgeteilten Eigenschaften eine nur schwache Beziehung zum tatsächlichen Verhalten im Sinne der Geschlechterrolle aufweisen. Wir haben hier also eine Forschungsbranche, die z.T. recht zuverlässig geschlechtstypisches Verhalten bei der Niederschrift von Selbsteinschätzungen erfaßt, uns jedoch nicht zeigen kann, ob und wie das „weibliche“ oder „männliche“ Selbstbild für andere, lebenspraktisch relevantere Verhaltensweisen wirksam wird. Daher werden diese Untersuchungen an nachgeordneter Stelle behandelt.
     
2.1 Unterschiede im Sozialverhalten
    Ein Hauptinteresse der Erforschung von Geschlechtsunterschieden richtet sich auf die Überprüfung der im Alltag geltenden Annahme, daß Mädchen und Jungen sich wirklich sehr unterschiedlich verhalten. Vor allem das Sozialverhalten, aber auch die emotionalen Bedürfnisse wie Anhänglichkeit oder Angst werden gemeinhin für so verschieden gehalten, daß unterschiedliche Umgehensweisen in der Pädagogik und in der Familie selbstverständlich sind. In der Tat können einzelne Untersuchungen, die geschlechtstypisches Verhalten durch Beobachtungen oder Experimente erfassen wollen, auf vertraut wirkende Unterschiede verweisen. Diese Untersuchungen haben oft kleine Stichproben: eine Gesamtheit von 30 bis 40 Kindern ist nicht ungewöhnlich. Im allgemeinen gilt: Je stärker versucht wird, den Sinn und den Kontext von Verhalten mitzuerfassen, desto schwieriger wird es, die Untersuchung mit einer größeren Stichprobe durchzuführen. Besonders bei kleineren Stichproben sind Verallgemeinerungen äußerst fragwürdig: Es gibt keine Kriterien dafür, wann eine Stichprobe als repräsentativ, oder zumindest nicht verzerrt, I für die Gesamtheit der Geschlechtsangehörigen gelten kann.
    Eine Unmenge von Untersuchungen und äußerst schlechte Voraussetzungen für deren Vergleich, erst recht für Verallgemeinerung, kennzeichnen die Forschungslage. Um eine gewisse Grundorientierung zu ermöglichen, haben Maccoby und Jacklin eine
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