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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich?
Autoren: Carol Hagemann-White
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und Pubertät
    Für unsere Diskussion von Geschlechtsunterschieden wird zunächst der Begriff „geschlechtstypisch“ im Sinne von Degenhardt aufgenommen. Er bezeichnet Merkmale, „die zwischen den Geschlechtern nach Auftretenshäufigkeit oder Intensität differieren, d. h. zwischen den Geschlechtern deutlich stärker variieren als innerhalb eines Geschlechts“
(Degenhardt, Trautner
1979, S. 11). Diese im Prinzip einleuchtende Bestimmung erweist sich als schwer anwendbar, da die Bandbreite der Variation innerhalb eines Geschlechts in der Regel sehr groß ist. Es gibt kaum Verhalten, das ausschließlich bei einem Geschlecht vorkommt; für alle in der Forschung thematisierten Bereiche gibt es sogar recht erhebliche Überschneidungen, so daß die Variation innerhalb eines Geschlechts auf jeden Fall größer als die Differenz zwischen den Mittelwerten für jedes Geschlecht ist. Im Prinzip ist es möglich, sowohl die Bandbreite der Variation innerhalb jeder Gruppe als auch den Unterschied zwischen den Mittelwerten beider Gruppen statistisch auszudrücken. In der überwiegenden Mehrzahl der Forschungsberichte wird jedoch die Standardabweichung bzw. überhaupt Auskunft über die Form der Häufigkeitsverteilung nicht mitgeteilt; lediglich Mittelwertsvergleiche werden angeführt.
    Man kann sich durch Kurvenzeichnungen leicht davon überzeugen, daß eine gegebene Differenz der Mittelwerte zwischen zwei Gruppen um so weniger differenziert, je breiter die Variation innerhalb jeder Gruppe, d.h., je flacher die Kurve ist. Zudem erfahren wir meist nicht, ob für beide Gruppen die Verteilung einer Normalkurve entspricht. Das wäre aber für die Einschätzung der Bedeutung des Unterschiedes notwendig.
    Informationen über Verteilungskurven bzw. Varianz, die für eine Einschätzung der Geschlechtstypik notwendig wären, liegen am ehesten bei schriftlichen Erhebungen mit größeren Stichproben vor. Diese gibt es bei Leistungstests (besonders bei Schulleistungen), die ein objektives Maß für kognitive Fähigkeiten zu enthalten beanspruchen, sowie für die ausgesprochen subjektiven Rating-Verfahren in bezug auf die eigene Persönlichkeit. Letztere Verfahren haben den Anspruch, solche Merkmale der Persönlichkeit, die das Verhalten beeinflussen, auch schon im Bereich der Gefühle und des Selbstbildes zu erfassen. Auf den Forschungsstand in diesen beiden Bereichen wird
    weiter unten gesondert eingegangen, da ihre Ergebnisse nicht ohne weiteres mit den Daten aus andersartigen Untersuchungen zusammengefaßt werden können. An dieser Stelle soll jedoch auf die prinzipiellen Grenzen ihrer Möglichkeiten aufmerksam gemacht werden.
    Allgemeine Übereinstimmung besteht darüber, daß meßbare gedankliche Leistungsfähigkeiten insofern bedeutsam sind, als sie wichtige Lebenschanchen eröffnen (aber nicht sichern) können. Bekannt ist auch, daß Wissen und Können erworben, trainiert, gefördert oder behindert werden können. Umstritten ist aber das Ausmaß der grundsätzlichen Lernfähigkeit aller (oder der großen Mehrheit) in der Gesellschaft. In der Tradition der Intelligenztests, die ihre Anfänge dem Glauben an angeborene Unterschiede der Begabung verdanken, hat die Erforschung kognitiver Fähigkeiten bislang zu wenig die Bedingungen des Erwerbs dieser Fähigkeiten untersucht und miterfaßt. Es kam vor, daß man einige Übungsstunden im Labor veranstaltete, und wenn die Versuchspersonen ihre Leistungen nicht durch diese Übungen verbesserten, wurde die Fähigkeit als „vom Lernen unbeeinflußt“ hingestellt. So etwa geschah es mit dem räumlichen Orientierungsvermögen, das als Anzeichen für „Feldunabhängigkeit“, d.h. Fähigkeit zu abstraktem, rationalem Denken, betrachtet wurde. Daß die Lernzeiten länger oder die geeignete Didaktik eine andere sein könnten, wurde nicht mehr bedacht. Dort hingegen, wo die Bedingungen des Erwerbs von Fähigkeiten miterfaßt werden (z. B. unter Berücksichtigung der absolvierten Unterrichtsjahre in einschlägigen Fächern) fallen die Unterschiede zwischen sozialen Gruppen geringer aus oder erscheinen nicht mehr.
    Selbst die größten Unterschiede, die zwischen den Geschlechtern berichtet werden, sind ohne Zweifel weit geringer als die Variation innerhalb eines Geschlechts. Weit ausgeprägter sind Leistungsunterschiede nach sozialer Schicht des Elternhauses, welche ja mit starken Unterschieden in den außerschulischen und schulischen Lernbedingungen zusammenhängen. Geschlechtsunterschiede in
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