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Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)

Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)

Titel: Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)
Autoren: Ralph Dutli
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Première, einer ihrer Malerfreunde hatte ihnen geraten, ein Bild von ihm zu kaufen, weil er ohne Brot sei, überhaupt nichts zum Leben habe. Er ging viel zu spät hin, um zu prüfen, ob es ihnen ernst war, ob sie auf ihn warten würden. In jeder Hand hatte er ein Bild hingetragen, er weiß nicht mehr welches, wahrscheinlich ein Stück aus Céret oder Cagnes. Marcellin Castaing hat es eilig, er ist ungeduldig nach dem langen Warten, zieht einen Hundertfrancschein heraus, ohne die Bilder auch nur anzusehen, und streckt ihn dem Maler entgegen.
    Hier, nehmen Sie, eine Anzahlung, Ihre Bilder schauen wir uns ein andermal an.
    Der Maler steht da wie erstarrt, ungläubig und empört über die hochmütige Ungeduld der Reichen. Er packt den Schein und wirft ihn Castaing vor die Füße. Die blinde Arroganz, die sie glauben macht, es gehöre ihnen ohnehin schon alles, sie müssten nur ein paar lumpige Scheine hervorkramen. Der verbissene Stolz der Hungerkünstler. Es waren noch immer seine Bilder, er konnte mit ihnen tun, was er wollte. Er greift energisch nach ihnen und läuft weg.
    Und dann kaufen sie irgendwann nach der Mitte der Zwanziger bei Zborowski den großen roten Chorknaben für … dreißigtausend Francs! Das weiße Kittelchen über dem Chorrock mit den tausend farbigen Schlieren. Als ob er das Zusammenspiel der Blutkörperchen hätte festhalten wollen, rot und weiß, die große Paarung von Tod und Leben im menschlichen Blut, laut Doktor Bog. Die Reichen stammelten nur:
magnifique!
Zbo hat es ihm erzählt. Sie hatten um ihn gebettelt, und er hatte gnädig nachgegeben.
    Der Maler ist halb von Sinnen, er glaubt sich endlich am Ziel nach all den Jahren, kauft sich Anzüge und Hüte bei Barclay, Seidenkrawatten, elegante Schuhe von Hannan, getüpfelte Hemden, von denen er schon immer geträumt hatte. Sein rotweißer Messdiener hat ihn neu eingekleidet. Jetzt schwingt er gern auch ein Stöckchen. Er ist noch einmal in Paris angekommen, ein Dutzend Jahre später, er hatte es geschafft, und Zbo wollte immer mehr Bilder von ihm. Vorbei die Zeit, als in seinen Augen zu lesen stand: Du bist nicht Modigliani!
    Er war jetzt in der blanken Zukunft, der Amerikaner Barnes hatte es schließlich ausgerufen: Ich kaufe die Zukunft!
    Was sollte er mit einer Tochter und einer Frau aus der Vergangenheit, er war doch jetzt längst in Le Havre eingeschifft, er residierte in Merion bei Philadelphia, all die schäbigen Orte sind von einem zornigen und schmutzigen Jackenärmel weggewischt worden von der Leinwand, Bienenstock und Cité Falguière, alle diese Maler-Miseren und Wanzenburgen, die billigen leeren Rotweinflaschen, alle lausigen Leinwände. Ich bin in der Zukunft,
los mich zu ru!
    Sie kam aus der Welt, die er längst verlassen hatte, was war das ziegelfarbene Wilna jetzt für ihn. Es liegt auf einem anderen Stern, das Jerusalem Litauens, die Kunstschule, wer weiß, wen es dort noch gibt. Eines Abends kommt sie in die Avenue du Parc Montsouris gelaufen, schlägt heftig gegen die Tür, die er nicht aufmachen will, und schreit:
    Verräter! Verräter! Ich weiß, dass du da bist! Sie ist von dir!
    Sie lebten in zwei verschiedenen Träumen. Er hört noch jetzt im Heizungskeller eines blendend weißen Paradieses, wie ein Händepaar gegen die Tür schlägt und wie eine laute Frauenstimme schreit:
    Verräter! Verräter!
    Die Krankenschwester, die ihn ruhig und traurig anblickt, wie er dasteht mit seinen farbverschmierten Händen, hat Deborahs Augen, ihre Blässe, ihren Mund. Und sie sagt nichts. Sie ist es, sie ist es nicht. Sie schaut ihn nur stumm an und vergrößert schweigend seine Scham. Er denkt nicht an die verleugnete Tochter Aimée, sondern an die Verbote von Doktor Bog.
    Auf keinen Fall dürfen Sie hier in der Klinik wieder malen. Hören Sie, auf gar keinen Fall! Es wäre entsetzlich für Sie.
    Und der Gott in Weiß hatte ihn durch seine winzigen Brillengläser fixiert und gleichsam auf das Bett genagelt. Jetzt steht der Maler Sutinchaim im Heizungskeller, unter den weißen Rohren, und in den Augen der Krankenschwester gellt ein lautloser Schrei:
    Verräter!
    Sie sagt nichts, aber in diesen Augen leuchtet plötzlich etwas, das vorher nicht da war. In Deborahs Augen leuchtet der Verrat. Sie sollte endlich Genugtuung bekommen für alle Demütigung und Verleugnung. Sie dreht sich leise um, geht langsam aus dem Heizungsraum wie aus seinem Leben, und er hört noch ihre Schritte auf der endlosen Treppe nach oben, die schwach und
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