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Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)

Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)

Titel: Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)
Autoren: Ralph Dutli
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sollte das Malverbot in dieser furchtbaren weißen Öde, in dieser schmerzfreien Klinik? Was wollte Doktor Bog damit erreichen? Er hätte ihm ebensogut das Atmen verbieten können. Nein, der Maler will nicht mehr geheilt im Klinikbett liegen und besänftigt mit den Händen über die Bettdecke streichen. Er will wieder leben, also malen – und wenn es auch im Keller war, im Keller des Lebens, wie damals am Rande der Welt von Montparnasse. Beschienen von mehreren schlechten, blendenden Leuchtbirnen, mit zusammengekniffenen Augen, ohne richtiges Tageslicht. Es war schmerzhaft, wieder diese Terpentingerüche einzuatmen. Es war ein großer Resttriumph.
    Allmählich dringen Qual und Lust hervor, er fahndet und wühlt nach Rot in den gequetschten, zerdrückten Tuben. Und wie gierig er ist. Er will kein weißes Paradies mehr, scharlachrot soll es sein. Das scharlachrote Paradies! Und als das Rot ausgeht, sind es gelbe Gladiolen, die auf dem weißen Laken liegen wie erlegte gekräuselte Seelen.
    Jede Nacht geht er hinunter in seinen Raum der Sünde, wo er das Verbotene tut, mit den verbannten Farben. Er gibt keinen Laut von sich, er pfeift nicht wie der unglückliche Livorno, den Doktor Ohrmann liquidieren ließ. Er schlurft nicht, er schleicht, er trottet nicht, er gleitet über Flur und Treppen. Er ist in der Stille leichter geworden. Tagsüber liegt er brav im weißen Klinikbett und wartet auf den müden Doktor Bog, der nicht kommt, er lauscht auf die Ebben und Fluten der Geräusche auf dem immerzu leeren Flur. Wie gern hätte er jetzt die grausamen Gesänge des Maldoror hören wollen, mit der krächzenden, gurgelnden, schreienden Stimme Modiglianis.
    Dann steht er leise auf und steigt in seine Unterwelt der Heizungsrohre hinab. Und er malt und malt wie im Rausch. Der Schmerz ist wieder da und die Farbe.
Les couleurs sont des douleurs
. Farben sind Schmerzen. Und er erinnert sich an das belauschte Gespräch in einem der Cafés am Montparnasse. Die Farben sind Narben und werden wieder zu Wunden, und noch immer reimen sich in seiner ersten Sprache
farbn
und
schtarbn
. Das Sterben war in den Farben längst vorweggenommen. Das sollte ihm reichen, und der Rest aus den Tuben.

In Deborahs Augen leuchtet der Verrat
    Dann geschieht etwas Unvorhergesehenes. War er nicht vorsichtig genug gewesen? Ließ er sich anmerken, wie begierig er nach diesen Nächten im Klinikkeller war, nach dem weißen Dschungel der Heizungsrohre und dem gehätschelten zurückgelassenen Malmüll, den er nach jedem Ausflug säuberlich in den Schrank zurücklegte mitsamt den zerschlissenen, abgeschabten und neu bemalten Leinwänden? War ihm heimlich jemand gefolgt? Nein, es ist schon jemand da, wartet im Dunkeln auf ihn.
    Er ist in den Heizraum gestürmt, hat Palette und Pinsel aus dem Kasten hervorgekramt, das ganze wunderbare schmutzige Zeug, das er braucht. Es eilt, die weißen Nächte sind kurz, und solange die Farbe nicht eingetrocknet ist in den zerknüllten Tuben, will er sie aufbrauchen bis zum letzten Rest.
    Er muss schon eine Stunde die Leinwand wütend misshandelt haben, als er sich plötzlich beobachtet fühlt. Er hasste es, beim Malen gesehen zu werden, die Scham befahl ihm, diese Dinge allein zu erledigen wie die intimen Verrichtungen seines Körpers. Nicht einmal Mademoiselle Garde hatte das Recht, ein Bild in der Entstehung zu sehen, und die ewigen Spaziergänger in Céret, Cagnes oder Champigny, die sich als kardinalviolette Überprüfer der Ähnlichkeit dem Maler nähern wollten, hasste er wie Ungeziefer, das ihm über die Leinwand kroch. Kaum hatte er einen Gaffer am Horizont erspäht, packte er Palette und Staffelei und rannte weg.
    Jetzt hat er nicht einmal bemerkt, dass ihm jemand zusah. Er fühlt sich in seinem schlecht beleuchteten Untergeschoss, dem von weißen Rohren durchzogenen Heizungsimperium so sicher und so allein, so tief eingeschlossen mit seinen Malabfällen, dass er nicht damit gerechnet hat. Er wirft einmal den Kopf herum und sieht sie plötzlich in einer Ecke stehen. In einer weißen Kluft, natürlich, alles war hier weiß, warum sollte eine Krankenschwester nicht weiß gekleidet sein? Es ist ihre zweite Haut. Sie sagt kein Wort. Schaut ihn nur prüfend an, wie er mit seinen Pinseln in der zusammengeballten Hand dasteht, verschwitzt und gekrümmt, keuchend vor Wut.
    Er erkennt das Gesicht nicht sofort. Er will sie ansprechen, doch ihr ruhig starrender Blick scheint ihm genau das zu verbieten. Das Gedächtnis tastet
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