Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sophia oder Krieg auf See

Sophia oder Krieg auf See

Titel: Sophia oder Krieg auf See
Autoren: Jan Braband
Vom Netzwerk:
durch das Herz des Seeräubers, das die Spitze der Cinquedea neben dem Schulterblatt wieder aus dem Körper trat. Die Pupillen des Piraten weiteten sich ein letztes Mal.
    Als der Pirat zu Boden fiel, war er bereits tot.
    Corin zog die Klinge aus dem Körper und wirbelte herum. Sein Vater lag nur einen Schritt weiter. Corin fiel auf die Knie, ließ die Cinquedea auf den Holzboden knallen und hob fassungslos die Hände. Er wollte irgendetwas tun. Irgendetwas musste er doch tun! Er sah den Vater an, der vor ihm mit offenen Augen in einer Blutlache auf dem Holzdeck lag.
    Die Trauer hatte noch nicht aufgegeben. Jetzt versuchte die Heulsuse durch ein Fenster in Corins Verstand zu klettern. Sie hatte einen großen Eimer Salzwasser dabei. Corins Augen wurden feucht.
    »Corin!«, schrie jemand. Corin griff flink seine Cinquedea und katapultierte sich mit einem Satz auf die Füße.
    »Corin!«, rief Jonathan noch einmal und sein kleiner Bruder wirbelte herum, jetzt wo er den Hilferuf orten konnte. Der nun älteste Giles hatte es mit zwei Piraten gleichzeitig zu tun, die ihn in die Defensive zwangen und an die Reling zurückgedrängt hatten.
    Ein lautes Krachen von oben ließ Corin zusammenfahren. Er blickte hoch und sah, dass Piraten auf den Haupt- und Fockmast 39 der Maria von Brügge geklettert waren und nun mit Messern überall die Takelage 40 lösten. Gerade kam das Großsegel mitsamt der oberen Rah, der langen hölzernen Querstange, vom Hauptmast herunter. Corin warf sich auf den Boden und entging der Kollision mit der schweren Holzkonstruktion nur knapp. Dafür begruben ihn nun Unmengen an Segeltuch. Hektisch ließ er die Cinquedea kreisen, wühlte sich durch das Segel, schnitt mehrere Löcher in das Tuch und kam endlich wieder frei.
    »Halt durch, Jonathan, ich komme!«, brüllte Corin seinem Bruder entgegen.
    Jonathan hatte alle Hände voll zu tun, am Leben zu bleiben. Mit dem Rücken an die Reling gedrängt, bearbeiteten ihn beide Piraten mit einer Attacke nach der anderen.
    Nun mag man ja glauben, dass ein hervorragender Schwertkämpfer - wie es Jonathan auch ohne Erfahrungen auf dem Schlachtfeld zweifelsohne war - es problemlos mit mehr als einem Gegner gleichzeitig aufnehmen könnte. Man sollte es aber nicht glauben. Mit einem Schwert lässt sich eben nur eine einzelne attackierende Nahkampfwaffe zurzeit abwehren. Ein zweiter Angreifer, so untalentiert er auch sein mag, ist immer eine akute tödliche Gefahr, es sei denn, er ist tatsächlich so untalentiert, dass er es schafft, sich mit der eigenen Waffe vorher selbst umzubringen.
    Gerade wollten beide Piraten synchron zustoßen, da gelang es Jonathan endlich seine Klinge am Hals des einen Piraten vorbeizuziehen. Gurgelnd stolperte der schwerverletzte Pirat zurück, warf seine Waffe fort und presste beide Hände über die klaffende Wunde.
    Corin wollte zum entscheidenden Sprung ansetzen, der ihn aus dem Gewirr an Segeltuch und Tauwerk befreit hätte, da durchfuhr die Maria Van Brügge ein unheilvolles Beben. Das ganze Schiff erzitterte und neigte sich grollend nach Steuerbord, von dem Piratenschiff weg. Alles an Deck machte einen Satz, und Kisten, Tauwerk, Segel, Tote und Verletzte rutschten gen rechter Seeseite. Corin kam zwischen den Segelfetzen irgendwie auf die Füße, wirbelte herum und wollte endlich seinem Bruder zu Hilfe kommen, da sah er schon das Unglück heraufziehen: Die untere Rah schwang durch die Schieflage der Maria ebenfalls herum. Von keinem Segel und keiner Brasse 41 mehr gehalten, fegte sie einen Teil des Decks leer und sauste dann mit Macht Richtung Reling, genau dort, wo Jonathan und der verbliebene Pirat eben noch kämpften.
    Der Pirat duckte sich gerade noch rechtzeitig, über seinen Rücken fegte die Rah.
    Für Jonathan war es zu spät. Die schwere Holzbohle traf ihn mitten auf der Brust und durchschlug mit ihm die Reling.
    »Jonathan!«, brüllte Corin und quetschte mit allen Leibeskräften die Lungen so dicht zusammen, dass diese heilfroh waren, nicht unter Klaustrophobie 42 zu leiden.
    Corin sah noch, dass Jonathan für einen winzigen Augenblick zu ihm herüber blickte, im Angesicht des eigenen Todes.
    Dann verschwanden Reling, Jonathan und Corins bisheriges Leben in der Finsternis.
    Die Zeit stand endgültig still.
    Corin fixierte den Punkt, wo eben noch sein Bruder stand. Wo er eben noch lebte.
    Corin hörte nicht mehr das Kampfgeschrei um ihn herum, das bereits deutlich abgeebbt war. Er spürte nicht mehr die Vibrationswellen, die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher