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Sonnenfinsternis: Kriminalroman

Sonnenfinsternis: Kriminalroman

Titel: Sonnenfinsternis: Kriminalroman
Autoren: Daniel Moor
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andere hineinversetzen und missachtet grundlegende soziale Verpflichtungen.» Ich versuchte mich an Gunnars Worte zu erinnern. «Anscheinend können viele Personen mit dieser Störung die Gefühle und Stimmungen anderer gut wahrnehmen.»
    «Aber ich dachte, er konnte sich nicht in andere hineinversetzen?»
    «Er konnte nicht selbst nachfühlen, was andere fühl t en, aber er konnte intellektuell nachvollziehen, was er tun muss te , um jemanden zu manipulieren.» Ich schaute Steiner an und fragte: «Hätte er auf verminderte Zurechnungsfähigkeit plädieren können?»
    « Kaum », antwortete dieser, «er konnte die Folgen seiner Handlungen ja klar abschätzen.»
    Ivica war noch nicht zufrieden. «Und stimmt es, dass er vor Hasano vić schon mehrere andere Leute umbrachte? O der umbringen liess ?»
    Ich nickte. «Mindestens vier, aber wahrscheinlich noch mehr, gemäss Steiner. Zwei konkurrierende Dealer, einen Inder, mit dem seine Schwester einen One-Night-Stand hatte, und ein Mitglied seiner ‹Bruderschaft›, das aussteigen wollte. »
    «Das hat er dir einfach so gesagt?»
    «Nein, Wagner und die anderen haben in der U-Haft schliesslich ausgepackt , nachdem ihr Gröfaz tot war .»
    I n Ivicas Augen blitzte der Schalk auf. « Und die Schwester? Ist sie hübsch?»
    «Wer, Sarah Rappolder? Ja, sie ist hübsch.»
    «Und Rappolder dachte, du hättest sie geknallt?»
    «Ja.»
    «Und hast du?»
    Ich lachte trocken. « Was denkst du denn? Selbstverständlich nicht.»
    «Aber wieso dachte er es?»
    «Weil grundsätzlich jeder unter Verdacht stand, mit dem seine Schwester sich traf.»
    «So wie der Inder. Das klingt nach krankhafter Eifersucht.»
    «Natürlich, das ist es auch. Gunnar hat da eine Theorie. Er denkt, dass Rappolder intellektuell über sein fehlendes Gefühlsleben Bescheid wusste und seine Schwester, die das pure Gegenteil ist, deshalb auf ein Podest gestellt hat. Sie war für ihn sein Fixstern am Firmament.»
    «Ich dachte, er fühlte nichts?»
    «Nicht nichts, aber wenig. Den Punkt habe ich auch nicht ganz verstanden. Aber Gunnar meint, es sei nicht ungewöhnlich, dass Leute mit APS trotz ihres fehlenden Gefühlslebens völlig von etwas besessen werden. Bei ihm war das vordergründig das Glück seiner Schwester, aber natürlich handelte es sich dabei nur um seine eigene Vorstellung von ihrem Glück. Das leuchtet mir ein, weil es mit seinem völlig übersteigerten Selbstbild zusammenpasst e . Er war zwar auf seine Schwester fixiert, glaubt e aber auf jeden Fall , besser als sie selbst zu wissen, was gut für sie ist. Ausserdem war sie seine jüngere Schwester und das Ausleben seines Beschützerinstinkts hat ihm die Gelegenheit geboten, sich als Mann zu fühlen. Deswegen und wegen seiner ver queren Überzeugungen hat er alle ihre Beziehungen mit ‹Minder werti gen›, wie das in seinem Jargon hiess, sabotiert. Also eigentlich mit allen Männern, da ja niemand so gut war wie er. Meist hat er den Kerlen einfach solche Angst eingejagt, dass sie nie wieder etwas von Sarah wissen wollten. Aber das mit dem Inder war einfach zu viel für ihn. Rassen schan de! In seiner Familie! Und der Kerl liess sich nicht mal einschüchtern. Seine Schwester konnte er nicht bestrafen, also musste der Verehrer dran glauben.»
    «Wieso wusste er überhaupt davon?»
    «Während der Zeit, in der sie verkracht waren , hat er ihr oft nachspioniert.»
    «Wie später dieser Harald», meinte Steiner.
    Ich nickte und sagte: «Genau. Er hat dem armen Kerl aufgelauert, ihn zur Rede gestellt und ihn dann im Zorn tot geprügelt. Drei andere Kerle seiner Bande, Harald, Karl – die Nachnamen habe ich wieder vergessen – und Markus Gruben hauer haben ihm geholfen, die Leiche zu beseitigen.»
    «Grubenhauer auch? Wirklich?» Ivica schien richtig schockiert , wie wenn Schwule seiner Ansicht nach sowas einfach nicht machten.
    «Ja, Grubenhauer auch.»
    Eine Weile sassen wir schweigend und in Gedanken versunken da. Dann fragte mich Ivica: «Hast du eigentlich Sarah Rappolder das Notizbuch zurückgegeben?»
    «Mujos Gedichtband? Ja, vorgestern.»
    «Schön. Dann hat sie wenigstens ein Andenken an ihn. Hat sie sich gefreut?»
    «Sie war eher traurig.»
    «Das Ganze muss sehr schwer für sie sein.»
    Ich nickte überrascht. Ivica war sonst nicht unbedingt für seine Anteilnahme bekannt.
    Wieder herrschte eine Weile lang nachdenkliche Stille. Irgendwann wollte Ivica dann wissen: «Und was passiert nun?»
    «Na ja, was die Glatzköpfe anbelangt»,
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