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Sonne über Wahi-Koura

Sonne über Wahi-Koura

Titel: Sonne über Wahi-Koura
Autoren: Anne Laureen
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wartete, überraschte Helena. Die Räder waren mehrfach geflickt, der Anstrich des Fonds blätterte. Staub bedeckte die Federn, die Polster wirkten durchgesessen und hatten Risse. Dazu bildete das gepflegte Aussehen der beiden Apfelschimmel einen großen Kontrast.
    Didier hievte ohne Umschweife die Tasche auf die Gepäckablage.
    Während Helena ihn dabei beobachtete, fragte sie sich, ob er vielleicht ein Maori war, von denen sie auf dem Schiff so einiges gehört hatte. Geschichten von mutigen Kriegern und mysteriösen Riten der Ureinwohner Neuseelands hatten ihre Neugierde geweckt. Didier danach zu fragen wagte sie aber nicht.
    Sie machte es sich in der Kutsche so bequem wie möglich. Doch schon beim Anfahren merkte sie, dass das Gefährt alles andere als komfortabel war.
    Didier lenkte es umsichtig durch die Stadt, die am Fuß einer grünen Bergkette lag. Die meisten Häuser Napiers waren im englischen Stil errichtet. Zwei Fabrikschornsteine schickten Rauch in den Himmel. Zahlreiche Geschäfte in den Seitenstraßen boten Waren des täglichen Bedarfs an. Helena notierte sich im Geiste den Standort eines Drugstores für den Fall, dass sie ein Mittel gegen Kopfschmerzen oder Schwellungen benötigte. Häuser, an denen teilweise noch gebaut wurde, deuteten auf ein stetiges Wachstum hin. Gut gekleidete Menschen bevölkerten die Gehsteige ebenso wie Arbeiter und Bettler. Hin und wieder sah Helena auch Männer in Arbeitskleidung, die Didier ähnelten. Die prachtvollen Stammesgewänder, die man ihr auf der Reise beschrieben hatte, entdeckte sie nirgends. Auch schien es hier keine Automobile zu geben, die in Deutschland immer häufiger wurden. Die Menschen hier fuhren offenbar ausschließlich mit Kutschen oder Planwagen.
    Als sie aus der Stadt hinausrollten, verschwand der Druck auf Helenas Magen. Wie ein seidiger Schleier strich die frische Luft über ihr Gesicht. Das sanfte Rauschen der Bäume und die exotischen Vogelstimmen schenkten ihr ein wenig Frieden. Allerdings nur für eine Weile, bis die Erinnerung an die vergangenen Monate wieder schmerzte wie eine schlecht verheilte Wunde.
    Laurents Tod war nur der Anfang von Helenas Unglück gewesen. Misery needs Company, Not braucht Gesellschaft - diesen Spruch hatte Helena auf dem Dampfschiff von einem Matrosen aufgeschnappt. Er beschrieb gut, was ihr in den vergangenen Monaten widerfahren war. Der Reblausbefall war trotz schnellen Eingreifens nicht aufzuhalten gewesen. Ein kostbarer alter Weinstock nach dem anderen war abgestorben. Die Trauben von den scheinbar gesunden Stöcken hatten sich als minderwertig erwiesen. Als wäre das noch nicht genug des Unglücks, hatte die Societé auch noch Schadensersatz für die abgestürzte Maschine gefordert, deren Entwicklung sie finanziert hatte. Sie behauptete, dass der Fehler allein beim Piloten gelegen habe, da dieser eine zweite, nicht genehmigte Runde geflogen sei. Da niemand Laurents Unschuld beweisen konnte und ein Gerichtsverfahren wesentlich teurer gekommen wäre, hatte Helena schließlich nach zermürbenden Verhandlungen einem Vergleich zugestimmt. Den Schaden durch den Reblausbefall hätte sie vielleicht noch verkraftet, doch durch die Zahlung an die Societé waren ihre Finanzreserven erschöpft. Auf Anraten ihrer Bank hatte Helena deshalb ihr Anwesen verkauft. Von dem Erlös hätte sie zwar eine Zeit lang leben können, aber er reichte nicht aus, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Und was hatte sie denn anderes gelernt als das Winzerhandwerk?
    Bekannte rieten ihr, sich so schnell wie möglich wieder zu verheiraten, ein Rat, den Helena geradezu empörend fand. Kaum war ihr geliebter Laurent unter der Erde, da sollte sie sich einen neuen Ehemann suchen? Wie herzlos musste man sein, um solche Ratschläge zu erteilen? Helena seufzte traurig. Überdies war dieser Rat vollkommen weltfremd: Denn welcher Junggeselle träumte schon von einer mittellosen Witwe, die noch dazu von jemand anderem schwanger war?
    Die einzige Möglichkeit, ihrem Elend zu entkommen, hatte sie schließlich ergriffen: Sie hatte beschlossen, nach Neuseeland auszuwandern und ihre Schwiegermutter um Aufnahme zu bitten.
    Auf den ersten Blick eine gute Entscheidung, wenn sie die Landschaft betrachtete. Helena verscheuchte die trüben Gedanken und legte den Kopf in den Nacken, um in den Himmel zu sehen. »Das Land der weißen Wolke« hatte ein Passagier diesen Flecken Erde genannt. Ein schöner Name, fand Helena.
    Als sie den Blick wieder auf die grünen
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