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Sonne über Wahi-Koura

Sonne über Wahi-Koura

Titel: Sonne über Wahi-Koura
Autoren: Anne Laureen
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senkte sie den Kopf. Über Neuseeland wusste sie nicht viel mehr, als dass diese Insel irgendwo in der Südsee lag. Aber vielleicht hatte er ihr ja tatsächlich etwas vorgeflunkert. »Was treibt Sie denn hierher nach Wiesbaden?«, fragte sie deshalb. »Ich habe Sie für einen Franzosen gehalten. Ist Neuseeland nicht eine englische Kronkolonie?«
    »Das ist richtig. Dennoch gibt es dort zahlreiche Franzosen. Aber dürfte ich Ihren Namen erfahren, bevor ich Ihnen verrate, was mich hierhergeführt hat?«
    Helena war hin und her gerissen. Der Mann verhielt sich sonderbar, aber er hatte etwas Faszinierendes an sich. »Ich bin Helena von Lilienstein.«
    Monsieur de Villiers nahm ihre Hand und hauchte einen formvollendeten Kuss darüber. »Es ist mir eine Freude, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mademoiselle Lilienstein.«
    Helena errötete und schlug verlegen die Augen nieder.
    »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?«
    »Keinesfalls, nur ...«
    Er wartete ihren Einwand nicht ab, sondern nahm gleich Platz. Viel zu nahe. Helena rückte unwillkürlich etwas zur Seite. Tausend Schmetterlinge schienen in ihrem Bauch zu flattern.
    »Ich bin vor einem Jahr nach Deutschland gekommen, weil ich hier fern von den Ansprüchen meiner Mutter leben kann«, erklärte De Villiers nun.
    »Was verlangt sie denn von Ihnen?«, fragte Helena verwundert.
    »Dass ich den Familienbetrieb übernehme. Aber ich habe andere Ambitionen.« Theatralisch breitete er die Arme aus. »Ich möchte den Himmel erobern!«
    Helena lachte. »Nichts weiter als das?«
    »Das genügt doch, oder? Auf den Spuren des Ikarus wandeln ...«
    Mit ähnlicher Leidenschaft hätte ich vom Weinbau gesprochen, kam ihr in den Sinn. »Sie wissen aber sicher, welches Schicksal Ikarus erlitten hat.«
    Laurent nickte. »Er flog zu nahe an die Sonne, seine Flügel schmolzen, und er stürzte ab. Aber mir wird das nicht passieren! Ich werde in einer Maschine aus Eisen, Holz und Tuch fliegen. Kein Wachs und keine Federn. Haben Sie je von Otto Lilienthal gehört? Oder von den Gebrüdern Wright?«
    Wie seine Augen leuchten!, dachte Helena. »Von Lilienthal habe ich gehört. Seine Flugapparate waren nicht besonders erfolgreich.«
    »Immerhin ist er tausend Mal damit gesegelt. Die Gebrüder Wright haben das erste Motorflugzeug gebaut. Und Henri Farman ist im vergangenen Jahr ein Flug von drei Stunden gelungen, bei dem er hundertachtzig Kilometer zurückgelegt hat. Ich will diesen Rekord verbessern. Nein, ich werde die gesamte Fliegerei revolutionieren!«
    »Und wie stellen Sie sich das vor?«
    »Ich habe Kontakt zu Louis Béchereau aufgenommen, der an einem ganz neuartigen Flugzeug arbeitet. Ich unterstütze ihn und fliege für ihn. Wir werden Geschichte schreiben!«
    Sein eindringlicher Blick stürzte Helena in Verlegenheit. Sie räusperte sich, griff nach dem Buch, das neben ihr lag, und umklammerte es wie einen Rettungsanker. »Wollten Sie nicht eigentlich zur Trinkhalle?«, brachte sie schließlich hervor.
    Laurent funkelte sie schelmisch an. »Ich muss gestehen, dass dies eigentlich nur eine Ausrede war, um Sie in ein Gespräch zu verwickeln. Ich beobachte Sie schon seit einer Woche, und mir wollte kein besserer Vorwand einfallen, um Sie anzusprechen.«
    Eine Woche!
    Helena musste ihn fragend angesehen haben, denn er fügte rasch hinzu: »Ich habe einen Bekannten, den ich hin und wieder besuche, wenn er sich im Kurhaus aufhält. Bei meinem Besuch letzte Woche habe ich gesehen, wie Sie mit einer älteren Dame hier angekommen sind. Von dem Augenblick an wollte ich wissen, wer Sie sind. Und vor lauter Angst, dass Sie wieder abreisen könnten, ohne dass ich Ihren Namen in Erfahrung gebracht habe, bin ich auf die Sache mit der Trinkhalle verfallen.«
    Helena vergaß vor lauter Anspannung zu atmen. Warum habe ich ihn nicht bemerkt?, fragte sie sich. »Also gut!« Sie erhob sich resolut von der Bank. »Machen wir einen kleinen Spaziergang. Ich wünsche allerdings, dass Sie mir noch mehr von sich erzählen.«
    Laurent lächelte breit, sprang auf und bot ihr seinen Arm an. »Das wird sich einrichten lassen. Hoffentlich langweile ich Sie nicht.«
    »Wir werden sehen«, gab Helena lächelnd zurück und hängte sich bei ihm ein. Tantchen wird sicher schon wach sein, überlegte sie, aber jetzt habe ich eine gute Entschuldigung, wenn ich mich verspäte.
    Drei Jahre später ...
    Seit Stunden lag Helena de Villiers wach und lauschte dem Vogelgezwitscher, das den Beginn eines strahlenden
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