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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
Autoren: Keith Donohue
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Ohr: »Übrigens, hast du jemals zuvor so einen Mann gesehen?«
    »Ein Mann ist ein Mann ist ein Mann. Geh nicht, Dolly. Was soll ich nur ohne dich tun?«
    »Er hat einen Zauber …«
    »Ich lass dich nicht gehen. Ich werde dir die Tlingit-Männer hinterherschicken.«
    »Nicht nötig, den Suchtrupp auszusenden, denn sobald es dunkel wird, bin ich wieder zurück. Bist du denn kein bisschen neugierig auf die Welt?«
    Sie drehten sich zu dem Mann, der ihnen wie versprochen den Rücken zukehrte. Er scharrte mit einem Fuß im Boden, als müsste er seine Augen daran hindern, zu den Frauen zurückzuwandern. S’ee watete hinüber und schlüpfte mit einer einzigen flinken Bewegung in ihre Kleider, wobei ihre nasse Haut dort, wo ihr Körper sich rundete, sogleich Flecken daraufsprenkelte. Ihre Schwester, die noch im Bach hockte, beobachtete benommen und hilflos, wie S’ee die Böschung hinaufkletterte und als Zeichen, dass sie nun da sei, seinen Arm berührte. Sie drehte sich noch einmal um und verschwand mit ihm im Gebüsch, und nachdem die Blätter sich nicht mehr rührten, murmelte Shax’saani ein Gebet, dass sie ihre Schwester eines Tages wiedersehen möge. Als sie sich anzog und ihre Körbe zusammensuchte, hörte sie Curly Tail und Chewing Ribs aus der anderen Richtung zurückkommen. Die Stelle, wo der Mann gestanden hatte, versetzte die Hunde in Unruhe, irre wegen des Dufts in ihren Nasen, winselten sie sich leise an.
    Mit einem spitzen Ellbogen in meine Rippen machte der alte Mann auf sich aufmerksam. »Weißt du«, flüsterte er, »was man im Alter am allermeisten bedauert?«
    Ich warf ihm einen wütenden Blick zu, um ihn zum Schweigen zu bringen.
    »Es hat nichts mit mehr Geldverdienen zu tun oder mit größerer Achtsamkeit für den alten Körper, nichts dergleichen. Die alten Leute sagen, sie bedauern am meisten, nicht mehr Risiken eingegangen zu sein. Fällt dir dazu noch etwas ein?«
    »Willst du sie nicht ihre Geschichte erzählen lassen?«
    »Dieses Mädchen hat sich kein bisschen gefürchtet.« Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Ihre Chuzpe ist bewundernswert.«
    Bei jedem Schritt auf ihrem Weg summte oder sang er, zwei Schritte vor ihr, wenn sie durch dichten Wald liefen, und Schulter an Schulter, wenn sie offenes Land durchquerten. Die Sonne strahlte vor ihnen, als sie ihren Marsch begannen, hing über ihren Köpfen bei ihrem Mittagsmahl und beschien ihre Rücken, als sie in höher gelegenes Gelände stiegen. Die Zedern waren so hoch und so dick, dass S’ee kein Salzwasser mehr roch. Luft ohne das Meer kannte sie nicht, und obwohl deren Lieblichkeit zwischen den Kiefern sie ängstigte, lief sie bezaubert vom Gesang des Mannes weiter. Sie schlugen ein Lager auf, als die Sonne hinter der Baumgrenze versank, und während S’ee trockenes Holz fürs Feuer sammelte, verschwand der Mann im Dickicht. Als sie gerade ihre Hände über der neuen Flamme wärmte, schreckte sie seine Rückkehr auf. Er hielt einen Hasen an den Hinterläufen hoch und grinste über seine Fähigkeiten. Beim Zubereiten ihres Essens erzählte er ihr Geschichten, anfangs traditionelle, davon, wie die Tlingits in die Welt kamen, aber auch merkwürdige Geschichten, »Der Mann, der seinen Schlaf umbrachte« und »Das Lachs-Volk« und, am merkwürdigsten, »Die Frau, die einen Tintenfisch heiratete«.
    »Und es waren seine acht Arme, die sie davon überzeugten, im Meer leben und den Tintenfisch heiraten zu wollen. Zwei Arme, um ihre Füße, zwei, um ihre Hände zu halten.«
    Er umfasste ihre Handgelenke und ließ sie wieder los.
    »Ein Arm, um ihr Haar zu streicheln.«
    Sie spürte, dass seine Finger durch ihr Haar glitten, aber sie wich seinem Blick aus.
    »Zwei Arme, um ihre Brüste zu umschließen.«
    Mit der zartesten Berührung legte er seine Hände auf ihre Brüste und lächelte, als sie nicht zusammenzuckte. Die Kruste der Hasenhaut warf Blasen über dem knackenden Feuer. S’ee sah ihm in die Augen. »Und wohin ging der achte Arm?«
    Er legte seine linke Hand zwischen ihre Beine und malte Spiralen auf ihre Haut; als er ihren Schoß erreichte, drückte er sanft zu; doch trotz seiner Behutsamkeit ängstigte er sie mit der Hitze, die seine Handfläche ausstrahlte. Er zog die Hand zurück und erzählte eine andere Geschichte, und nachdem sie gegessen hatten, bat er sie, sich nah ans Feuer zu legen, während er sich aus Gründen des Anstands auf die gegenüberliegende Seite zurückzog. Als sie so dalagen, hauchte das Feuer seinen Geist
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