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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
Autoren: Keith Donohue
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erkennen, dass der Haufen frisch und voller Beeren war.
    »Bärenkacke«, schrie sie. »Dumme stinkende Bären. Warum müssen sie genau hierhin kacken, wo Menschen hergehen?«
    Sie streifte ihren Fuß an abgefallenen Piniennadeln ab und sank zu Boden. »Glauben die etwa, ihnen gehört die Welt? Bärenkacke, wo und wann auch immer.« Mit Blättern eines Himbeerstrauchs wischte sie die Exkremente ab und fluchte leise vor sich hin. »Wisst ihr denn nicht, dass es hier Menschen gibt?«, schrie S’ee plötzlich, und ihre Stimme schallte durch die Bäume.
    Shax’saani legte rasch eine Hand auf den Mund ihrer jüngeren Schwester, mahnte sie zischelnd zur Ruhe, suchte den Wald nach einer Bewegung ab und lauschte auf das leiseste Geräusch. »Du hast kein Gespür, Dolly. Was, wenn der Bär dich hört?«
    »Ich hoffe, er hört mich«, rief sie. »Dann kackt er vielleicht nicht mehr dahin, wo Menschen gehen.«
    »Ein wenig Respekt, okay? Es ist auch ihre Welt.« Doch dann kicherte sie über die Situation und sagte: »Komm, Schwester, wir suchen Wasser, um dir den Gestank abzuwaschen, sonst denkt unsere Mutter noch, ich bringe eine Sau mit nach Hause.«
    »Wen nennst du eine Sau, du fetter, fauler Bär?«
    Hand in Hand rannten sie an einen Bach, zogen sich die Kleider aus und hüpften in das kalte Wasser. Wilde Schnakenschwärme kreisten über ihren Köpfen, und das Sonnenlicht strahlte in glitzernden Wellen auf dem sich kräuselnden Wasser. Die beiden Hunde, die laut lärmend aus dem Gebüsch brachen, kläfften und bellten die Mädchen an. Ungeduldig liefen sie jaulend am Ufer hin und her, wollten aber nicht ins Wasser springen. Shax’saani rief ihnen zu, sie sollten verschwinden, und S’ee bespritzte die Köter mit Wasser, bis sie sich trollten. Wenig später raschelten die Blätter wieder, und S’ee dachte, die Hunde seien zurückgekehrt. Doch als die Äste sich auseinanderbogen, kreischte sie auf. Eine Gestalt näherte sich aus dem Grün, als träte sie aus ihren Träumen hinein in den hellen Tag des Nordens.
    »Bedeck dich«, schrie sie ihrer Schwester zu, und beide tauchten gleichzeitig unter, bis ihnen das Wasser zur Taille reichte.
    Der Mann trat ans Ufer und zeigte zum Gruß seine leeren Hände. Er hielt inne, um sie anzusehen, als hätte er seine Zunge verschluckt oder als fürchtete er, Worte könnten den Zauber brechen. Die Schwestern betrachteten ihn, wie er sie betrachtete, und er war ein schöner, stattlicher Mann. Jung und nackt bis zur Taille wie sie, mit sonnengebräunter Haut und Gesichtszügen wie in einen Totem geschnitzt. Er schien nicht von dieser Welt zu sein, keinesfalls ein Tlingit und auch zu keinem der Stämme gehörig, die sie auf ihren Streifzügen getroffen hatten, oder zu denen des Inlands, die zufällig bis Hoonah gestoßen waren. S’ee sah ihm in die Augen, und zum ersten Mal fühlte sie, dass ihr Herz ihren Kopf verriet.
    »Keine Angst, Schwestern. Ich hörte Gelächter und Geplansche und bin nur gekommen, um zu sehen, welchen Spaß ich verpasse.«
    Shax’saani keifte ihn an. »Du hast gesehen, was es zu sehen gibt. Geh jetzt. Mach dich auf den Weg. Wir sind nicht deine Schwestern.«
    »Sind wir nicht alle Kinder der Erde? Wie kommt es, dass ihr so früh am Tag badet?«
    Ehe sie aufgehalten werden konnte, trompetete S’ee ihre Erklärung heraus. »Meine Füße waren schmutzig, und weißt du auch, warum? So ein dummer Bär weiß nicht, dass er abseits des Pfads kacken muss.« Sie richtete sich auf, wobei Wasser von ihrem Körper herabrieselte, und streckte dem Mann ihren Fuß entgegen, damit er besser erkennen konnte, wohinein sie getreten war.
    »Nun wieder ein sauberer Fuß und so schön. Wie ist dein Name?«
    »Ich heiße S’ee.«
    »Komm mit mir, kleine Puppe, denn ich möchte dir etwas von diesem Bären zeigen.«
    Ihre Schwester umkrallte ihren Arm, hielt sie zurück, doch der Mann am Ufer sprach weiter mit seiner honigsüßen Stimme, und sie war in größter Versuchung.
    »Ihr könnt beide mitkommen. Ihr habt nichts zu befürchten. Ich bin harmlos wie ein Murmeltier.«
    »Auch wenn du ein Murmeltier wärest, das mit uns spricht, würde ich nicht mit dir gehen. Husch. Geh weg.«
    »Ich drehe mich um, und ihr könnt euch anziehen. Ich habe euch vorhin gehört, als ihr den Bären beschimpft habt, und es gibt etwas, das ihr wissen solltet.«
    S’ee riss sich von Shax’saani los. »Ich will mitgehen. Ich erlebe nie etwas.« Sie schmiegte sich an ihre Schwester und flüsterte ihr ins
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