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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
Autoren: Keith Donohue
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ereignen sich in diesem Raum, und nicht nur, dass man sich den Kopf anschlagen kann, hinzu kommen Verbrühungen, Ohnmachtsanfälle wegen übermäßiger Hitze und Feuchtigkeit, Vergiftungen und Stromschlag. Weil wir uns hier so ausgiebig der Muße und der Selbstverhätschelung hingeben – langes Einweichen in warmen Wannenbädern, Waschungen, Verdauung, Parfümieren von Haar und Körper, Abschaben von ungewollten Haaren, Putzen der Zähne, Schneiden der Nägel, Lesen der Unterhaltungsseiten –, erscheint uns das Badezimmer so warm und feucht wie ein Mutterschoß, und dennoch ist es eine Todesfalle.
    Meine Haut und meine Knochen klatschten mit einer Art feuchtem Geräusch auf den Boden, und Schmerz schoss mir durch das Jochbein und die Knie, die Luft in meinem Körper entwich mit einem erschütternden Knall. Blut beunruhigt uns so lange nicht, bis wir es sehen. Da gibt es die berühmte Geschichte eines Dachdeckers, der sich versehentlich mit einer Nagelpistole einen etwa acht Zentimeter langen Nagel ins Hirn geschossen hatte. Erst einige Tage später, als er heftige Kopfschmerzen bekam, ging er in die Ambulanz. Und dort entdeckten die Ärzte durch eine Röntgenaufnahme das in ihm steckende Projektil, woraufhin er prompt in Ohnmacht fiel. Kaum war der Nagel herausoperiert, verschwanden die Kopfschmerzen, als wäre nie etwas geschehen. Wir müssen den Beweis für unser Leiden gezeigt bekommen, um den damit einhergehenden Schmerz zu empfinden, aber unsere Freude kommt und geht, wie es ihr gefällt.
    Instinktiv wollte ich nach einem Handtuch greifen, um die Sudelei zu stoppen, aber ich konnte mich nicht rühren. Nicht einen Millimeter. Nicht eine Fingerspitze krümmen oder einen Zeh drehen. Ich konnte nicht einmal mit meinem einen offenen Auge blinzeln. Angesichts dessen, dass ich mit dem Gesicht nach unten auf dem kalten Boden lag, musste sogar das Heben und Senken meines Brustkorbs beim Atmen einfach angenommen werden. Ich glaubte weiterzuatmen. In meiner bildlichen Vorstellung konnte ich ohne Weiteres über meinem Körper schweben, die Gestalt auf dem steinkalten Boden sehen und mit Kreide die nackte Form umreißen. Mir kam der Gedanke, jemand könnte mich hier im Badezimmer entdecken, und ich wäre zu Tode beschämt.
    Gerade als ich mich mit dieser Demütigung auseinandersetzte, wurde mir durch ein Geräusch die Anwesenheit eines anderen lebendigen Wesens bewusst. Ein Hüsteln, nicht viel mehr als ein Räuspern, ein Ahem , das alles veränderte. Die Existenz einer anderen Seele im Raum löste ein befremdliches Empfinden in mir aus. Ich vergaß die Wunde, und im selben Moment hörte das Bluten auf. Ich konnte mein freies Auge öffnen und schließen, und das Gefühl kehrte in meine Glieder zurück. Mir der geschmeidigen Wiederherstellung meines Körpers bewusst, setzte ich mich auf, vielleicht ein bisschen zu rasch. Weil mein Schädel heftiger schmerzte als bei jedem Kater, presste ich die Hände an die Schläfen, um mich ins Gleichgewicht zu bringen. Der Huster hüstelte wieder, dieses Mal ganz in der Nähe der Badewanne.
    Er saß auf dem Wannenrand, in einen Frotteebademantel gehüllt, Sandalen bewahrten seine nackten Füße vor dem unmittelbaren Kontakt mit der roten Lache auf dem Boden. In stocksteifer Haltung starrte der alte Mann durch mich hindurch. Seine dünnen, nackten Unterschenkel hingen unter dem blauen Saum wie Pfeifenreiniger an seinen Knien. In seinem Schoß lagen seine gefalteten Hände wie die eines Bittstellers oder eines heiligen Asketen, und als der nächste Husten von seiner Lunge die Kehle hinaufröhrte, hob er eine knochige Faust an die Lippen. Aus dem Kragen ragte sein seilähnlicher Hals, der mühsam seinen langen Kopf hielt, und sein Gesicht sah streng aus, als wäre es von Giacometti, harte Winkel, hautüberzogene Knochen, eine runde Nickelbrille auf der Habichtsnase, seine Augen dunkel, von ungewisser Farbe, aber mit dem Ausdruck unablässigen, starren Erstaunens. Auf seinem Schädel ein silberner Schopf, achtlos nach oben und nach hinten gebürstet, der das Überraschende seines Auftauchens noch unterstrich, und seine Ohren standen ab wie die Henkel eines Wasserkrugs. Als er hustete, flogen Federchen aus seinen Mundwinkeln und durch die Lücken seiner geballten Faust. Gelbe Stoppelfedern schwebten in der Luft, bevor sie wie Asche auf den Fliesen niedergingen. Ein mattes Lächeln zerknitterte flüchtig die untere Hälfte seines zerfallenen Gesichts, als entschuldigte sich die Katze dafür,
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