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Sommermond

Titel: Sommermond
Autoren: M. Hart
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schließen, was für Selbstvorwürfe er sich machte.
    „Vater …“
    „Doch!“ Jo fluchte, hob die rechte Hand und schlug kräftig auf das Lenkrad. „Ich habe ihm gesagt, wo du bist. Ohne diesen gottverdammten Tipp würde er jetzt nicht im Krankenhaus liegen.“ Er schnaubte cholerisch. „Und vorher schmeiß ich ihn auch noch aus der Villa … Das alles nur, weil du …“ Schon zum dritten Mal an diesem Morgen stockte er und sprach nicht weiter. Gleichzeitig schien er zu merken, dass er das Thema falsch angepackt hatte. Er fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augenbrauen und presste die Haut über der Nase fest zusammen.
    In Alex stieg derweil ein brennendes Gefühl empor. Es kam aus seinem Magen und jagte von dort aus durch seine Nervenbahnen in seine Arme und Beine. Seine Hände begannen zu zittern. Die Worte seines Vaters schmerzten ihn. Neben einem Gefühl der altbekannten Eifersucht gegenüber Ben (weil sein Vater ihn vom ersten Tag an vergöttert hatte) kam mit einem Mal die große Welle des schlechten Gewissens hinzu. Doch unter die Eifersucht und das schlechte Gewissen mischte sich noch etwas anderes. Etwas wie Vorwurf und Verachtung. Für einen kurzen Moment vergaß er Ben und dessen gesundheitlichen Zustand. Ja, er vergaß alles, was am Vorabend passiert war und wurde blitzartig wütend.
    „Mich hätte es genauso treffen können“, sagte er. Er sprach ruhig und gefasst. Nur das Zittern seiner Stimme ließ die enorme Wut in seinem Inneren erahnen.
    Jo ignorierte seine Worte. Vermutlich hatte er nicht genau zugehört. Alex ballte seine Hände zu Fäusten.
    „VATER!“, schrie er dann. „Mich hätte es genauso treffen können! Ich könnte tot sein!“
    Erst jetzt schien Jo zu reagieren. Er wandte sich zur Seite und blickte Alex irritiert an. Dem Straßenverkehr schenkte er keinerlei Beachtung mehr. Seine Augen sprachen Bände, allerdings in einer Sprache, die Alex fremd war. Als Jo endlich wieder nach vorn schaute, schrie er entsetzt auf und legte gleich darauf eine Vollbremsung ein. Noch gerade rechtzeitig, etwa einen halben Meter hinter der weißen Straßenmarkierung, kamen sie zum Halt. Die rote Ampel leuchtete warnend. Eine Frau mit Kinderwagen warf ihnen einen erschrockenen Blick zu.
    „Tz…“, machte Alex und schüttelte fassungslos den Kopf.
    Er ertrug Jos Nähe nicht länger. In einer hektischen Bewegung schnallte er sich ab und wollte aussteigen. Jo hielt ihn grob am Arm zurück.
    „Wo willst du hin?“, fragte er und klang bedrohlich.
    „Zu Ben“, erwiderte Alex trocken.
    „Na, dann wird’s dich wohl nicht sonderlich erfreuen, dass seine Eltern und Nick gerade bei ihm sind. Sie wohnen die nächste Zeit erst einmal bei uns.“
    „Nick?“ Alex stockte der Atem. Nick war Bens Exfreund. Alex konnte ihn nicht ausstehen.
    Die Ampel wechselte auf grün. Doch Jo blieb stehen und ließ das drängelnde Hupen der anderen Autos einfach über sich ergehen. Auf Alex‘ Frage bezüglich Bens Exfreund ging er allerdings nicht ein.
    „Bens Eltern wollen nicht, dass du ihn besuchst.“
    „Wissen die, dass Ben und ich -“, fragte Alex.
    „Nein“, unterbrach ihn Jo sofort.
    „Okay.“ Alex nickte angespannt. „Ist das dann alles?“
    Jo erwiderte nichts.
    „Sagst du mir jedenfalls in welchem Krankenhaus Ben liegt?“, fragte Alex.
    Jo senkte den Blick und schien nicht antworten zu wollen. Alex wollte gerade lauter werden, als Jo sich leise räusperte.
    „Klinik Fleetinsel“, erwiderte er trocken.
    Alex nickte kaum merklich. Er tat übertrieben lässig. Innerlich hingegen war er aufgewühlt.
    „Mir ist egal, was Bens Eltern wollen“, brachte er dann entschlossen hervor. „Ich will jetzt zu ihm.“
    Jo blickte ihn kritisch an. Er schien keine Erwiderung mehr zu wissen. Dies nahm Alex als gegebenen Anlass, um die Beifahrertür aufzureißen und auszusteigen. Er drehte sich kein weiteres Mal zu seinem Vater um und schlug die Tür brutal zu. Als er sich inmitten der Straße wiederfand, eilte er Richtung Bürgersteig. Dort blieb er erst einmal stehen und beobachtete das weitere Geschehen. Die Ampel wechselte ihre Farbe und dieses Mal nutzte sein Vater die Grünphase, um die Kreuzung zu überqueren. Alex blickte ihm missmutig hinterher. Er bereute die Entscheidung nicht, ausgestiegen zu sein, doch gleichzeitig fühlte er sich nun noch hilfloser als zuvor. Die ganze Situation überforderte ihn. Sein Kopf war nicht dazu im Stande, einen klaren Gedanken zu fassen. Er wusste nicht, was er
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