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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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Ohr.
    »Schön. Ich berate nur, ich habe keine Entscheidungsbefugnis. Manchmal sehe ich etwas, was ein anderer nicht sieht. Vor ein paar Tagen landete dein Fall auf meinem Schreibtisch, Marc. Ich erkannte sofort deinen Namen. Hausarzt. Ich habe es immer bedauert, dass du nicht weitergemacht hast, du hättest das Zeug dazu gehabt. Morgen um neun Uhr. Die Stunde der Wahrheit. Ich habe deinen Fall gewissenhaft geprüft, es kommt schließlich nicht alle Tage vor, dass sich einer meiner ehemaligen Studenten vor der Ärztekammer verantworten muss. Ich sagte ›gewissenhaft‹, aber das war gar nicht nötig. Ich sah es sofort. Hör mir genau zu, Marc. Ich stelle dir jetzt ein paar Fragen. Am besten antwortest du nur mit Ja oder Nein. Es versteht sich, dass unser Gespräch vertraulich ist. Ich kann dir nur helfen, wenn du aufrichtig zu mir bist. Des Weiteren liegt es in meinem eigenen Interesse, nicht alles zu wissen. Ich hoffe, du hast dafür Verständnis.«
    »Ja«, sagte ich. In dem Moment steckte meine Assistentin ihren Kopf zur Tür herein. Sie machte mit fragender Miene eine Handbewegung Richtung Warteraum. Mein mit den Lippen geformtes »Raus« verstand sie sofort.
    Ich dachte, Herzl würde jetzt wieder »schön« sagen, doch da hatte ich mich getäuscht – ich konnte es natürlich auch überhört haben.
    »Eine Biopsie wird niemals von einem Hausarzt vorgenommen, Marc, das brauche ich dir nicht zu sagen. Und erst recht nicht, wenn der Verdacht einer ernsten Erkrankung besteht. Genau genommen haben wir es hier also nicht mit einem Kunstfehler zu tun, sondern mit einem Anfall von Geistesverwirrung. Ein Hausarzt darf ein Muttermal entfernen oder ein Fettgeschwulst, aber wenn die Sache ihm nicht ganz geheuer ist, lässt er die Finger davon. Diese Regel wurde hier nicht befolgt. Schlimmer noch, das Gewebe wurde auf so rabiate Weise entfernt, dass sich die Krankheit nur umso rascher ausbreiten konnte. Stimmt dies so weit, Marc?«
    »Ja.«
    »Nun ist die Gewebeprobe nie im Labor angekommen. Sie kann natürlich verschludert worden sein. Möglich ist aber auch, dass du vergessen hast, sie zu verschicken. Wie gesagt, Marc – nur Ja oder Nein. Hast du es vergessen?«
    »Ja.«
    Professor Herzls tiefer Seufzer klang wie Erleichterung. Ich hörte Papier rascheln.
    »Deine Aufrichtigkeit freut mich, Marc. Kommen wir zum Patienten. Dem verstorbenen Patienten … Ralph Meier. Ein Schauspieler. Ich hatte noch nie von ihm gehört, aber das hat nichts zu bedeuten. Ich bleibe meist zu Hause. Ich lese oder höre Musik. Aber gut, zur Sache. Ist etwas vorgefallen, wodurch du diesen bestimmten Patienten lieber heute als morgen los gewesen wärest? Und ich meine damit nicht, zu einem anderen Hausarzt, nein, wortwörtlich. Sollte er vom Erdboden verschwinden ? Was ja nun, da er im Grabe liegt, auch tatsächlich passiert ist. War es dieser Gedanke, mit dem du gespielt hast, Marc?«
    »Ja.«
    »Es ist etwas geschehen, was dich davon überzeugte, Ralph Meier dürfe nicht länger leben. Das ist möglich. Ein jeder von uns hat schon einmal mit diesem Gedanken gespielt einem seiner Mitmenschen gegenüber. Auch wir sind nur Menschen.Du hast wahrscheinlich deine Gründe gehabt. Was ich dich jetzt frage, hat mit dieser Angelegenheit und dem Verfahren vor der Ärztekammer morgen faktisch nichts zu tun. Es interessiert mich persönlich, weil ich mich für dich interessiere, aber auch für die menschliche Spezies im Allgemeinen. Du hast selbstverständlich das Recht, die Antwort zu verweigern. Ich habe nicht in deinem Privatleben geschnüffelt, du hast eine Frau und zwei heranwachsende Töchter, mehr weiß ich nicht. Meine Frage ist ganz einfach. Hat Ralph Meiers Ableben etwas mit deiner Familie zu tun, Marc?«
    Ich zögerte. »Ja«, sagte ich schließlich. Herzl hatte mein Zögern offenbar bemerkt, denn er sagte:
    »Nochmals, wenn du nicht antworten willst, verstehe ich das vollkommen. Ich nehme es dir nicht übel. Es hat also mit deiner Familie zu tun. Mit deiner Frau?«
    Ich zögerte wieder. Ein Teil in mir wollte dieses Gespräch beenden, ein anderer Teil wollte nicht länger nur mit Ja oder Nein antworten, er wollte meinem ehemaligen Professor für Biomedizin alles erzählen.
    »Nein«, sagte ich. »Das heißt, am Anfang … Nein, nicht wirklich.«
    »Ich will nicht den Neunmalklugen spielen – aber das kam mir auch nicht sehr wahrscheinlich vor. Ich habe mehr auf eine deiner Töchter getippt. Wie alt sind sie jetzt? Vierzehn und zwölf,
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