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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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Monate ist.«
    Ich fühlte mich Herr der Lage. Ich hatte die Situation wieder in der Hand , wie man so sagt. Das bewies schon der Ausdruck »Raubbau mit der Gesundheit treiben«, den ich sonst niemals in den Mund genommen hätte. Ich sah auf die Uhr an der Wand. Wir saßen hier jetzt eine Viertelstunde. Ich hatte draußen undeutliche Geräusche gehört, die Tür der Praxis war ins Schloss gefallen. Es war still. Alle waren weg.
    »Warum jetzt auf einmal, Judith?«, fragte ich. »Warum beschimpfst du mich vor meinen Patienten und meiner Assistentin als Mörder? Dein Verhalten letzten Freitag auf der Beerdigung habe ich noch dem Blödsinn zugeschrieben, den dir dieser Maasland eingeredet hat. Aber es scheint, als würdest du das alles wirklich glauben. Obwohl sich deine Sorgen wegen Ralph in den letzten Monaten, gelinde gesagt, in Grenzen gehalten haben. Jedenfalls habe ich dich nie jammern hören, wenn ich zum Kaffee kam.«
    Judith brach in Tränen aus. Das hatte mir noch gefehlt. Dafür hatte ich nun wirklich keine Zeit. Ich wollte los, ich musste mit Caroline besprechen, was wir tun sollten. In ein paar Tagen fingen die Herbstferien an, wir wollten zu viert nach Los Angeles fliegen. Ich musste Caroline davon überzeugen, dass wir schon früher abreisen sollten – natürlich ohne das Gespräch mit Aaron Herzl zu erwähnen.
    »Du hast gesagt, du könntest mich jetzt nicht brauchen, Marc«, sagte Judith schluchzend. »Dass wir einander nicht mehr sehen sollten. Das hast du wortwörtlich gesagt. Es ist zu viel passiert. Da kann ich im Moment nicht auch dich noch am Hals haben. Aus heiterem Himmel! Wie konntest du so hart sein? Und Ralph war noch nicht mal eine halbe Stunde tot.«
    Ich starrte sie an. Hatte ich mich verhört? Ich war immer stolz darauf gewesen, nicht mehr als eine Minute nötig zu haben, um herauszufinden, was jemandem fehlt, aber das hätte ich selbst in meinen wildesten Fantasien nicht für möglich gehalten. Ich sah sie an. Ihr tränenüberströmtes Gesicht drückte vor allem Unzufriedenheit aus, eine tief sitzende Unzufriedenheit von der Sorte, mit der man geboren wird. Nichts, aber auch gar nichts kann sie vertreiben. Teure Espressomaschinen, Zuwendung, der Ausbau des Hauses … für kurze Zeit tritt die Unzufriedenheit in den Hintergrund. Doch es ist wie mit feuchten Wänden, man kann sie mit neuen Tapeten behängen, aber nach einiger Zeit sind die braunen Flecken wieder da.
    Man kann wenig dagegen machen. Man kann die Unzufriedenheit eine Weile unterdrücken, mit Aufputschmitteln zum Beispiel, doch am Ende tritt sie nur umso heftiger wieder zutage.
    Nur eine Injektion könnte die Unzufriedenheit von Judiths Gesicht vertreiben. Ein für alle Mal.
    Ich dachte an ihre Reaktion am Strand, als Ralph den Kochtopf in die Luft gejagt hatte. Ihr Gezeter wegen der Knallerei im Allgemeinen. Dass sie deswegen vielleicht die Kaution nicht vom Vermietbüro zurückkriegen würden. Und ich dachte an das, was Caroline mir erzählt hatte. Über Stanley und Judith am Swimmingpool.
    Ich wusste jetzt, was ich zu tun hatte. Ich stand auf, ging um den Schreibtisch herum, legte die Hände auf ihre Schultern und beugte mich über sie, sodass unsere Gesichter sich berührten.
    Ich hatte mit Wärme gerechnet. Mit einem feuchten, aber warmen Gesicht – doch ihre Tränen waren kalt.
    »Meine liebe Judith«, sagte ich.

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52
    Wir saßen am Swimmingpool. Julia und ich. Caroline war mit Lisa nach Santa Barbara shoppen gefahren. Stanley hatte in Hollywood eine Besprechung über ein neues Projekt, und Emmanuelle war in ihr Zimmer gegangen.
    Julia lag bäuchlings auf einer Luftmatratze im Schatten einer Palme. Ich saß in einem Liegestuhl und blätterte in Zeitschriften, die ich mir von drinnen mitgenommen hatte. Die aktuelle Vogue und Vanity Fair und Ocean Drive. In der Ferne konnte man tatsächlich das Rauschen des Meers hören, ganz wie Stanley am Telefon gesagt hatte. Und ab und zu das Pfeifen eines Zugs. Zwischen Stanleys Haus und dem Meer gab es einen unbeschrankten Bahnübergang. Es kam mir so vor, als hörte sich das Pfeifen der Züge anders an als damals in Williams vor über einem Jahr, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.
    Ich betrachtete Julia. Schlief sie? Neben ihrem Kopf lag ihr iPod, doch sie hatte die Stöpsel nicht in den Ohren. Zu Hause war es jetzt Herbst. Hier war es nur im Schatten einigermaßen auszuhalten.
    Vor unserem Abflug hatte ich die ganze Zeit mit einem Anruf der Ärztekammer
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