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Sommer wie Winter

Sommer wie Winter

Titel: Sommer wie Winter
Autoren: Judith W. Taschler
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die Hochzeit von die zwei Lappen anschauts, werdets trotzdem keine Prinzessinnen, los, ihr helft mir jetzt in der Küche!

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Therapiegespräch im Jänner 1990
Dr. B. und Andreas Winter (11 Jahre)
    Ich will, dass alles wieder wird wie vorher!
    Ich halte das nicht aus! In der Schule hat der Thommi zu mir gesagt: Wow, hast eine coole Familie, was da so alles passiert!
    Aber ich finde es nicht cool und auch nicht super!
    Ich will, dass alles wieder wird wie vorher! Nein, gehen Sie weg! Ich will, dass alles wieder wird wie vorher!

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Therapiegespräch im Jänner 1990
Dr. B. und Anna Winter
    Einmal ist jemand aus Innsbruck gekommen und hat nachgeschaut, wie es dem Alexander bei uns geht. Ja, da ist er nicht ganz ein Jahr bei uns gewesen. Die Eltern sind gar nicht daheim gewesen, die haben oben auf der Waldwiese das Heu eingebracht.
    Die Martina und ich haben auf die zwei Kleinen aufpassen müssen. Wir sind vor dem Haus auf der Bank gesessen und haben gestrickt, ich habe gestrickt, die Martina hat gelesen, sie hat ja immer die Gescheite sein müssen. Die Manu und der Alex haben mit ihren Steckenpferden gespielt und sind vor uns herumgehüpft.
    Ja, auf einmal kommt ein Auto daher und bleibt vor unserem Hof stehen, ein Mann steigt aus und kommt zu uns. Er hat uns gefragt, wie wir heißen, und ich habe ihm unsere Namen gesagt. Der Mann hat zu mir gesagt, dass er aus Innsbruck kommt und den Alexander besuchen will. Ja, ich habe sofort die Mutter holen wollen, aber der Mann hat mich zurückgehalten und gesagt, dass das nicht nötig ist, er will nur mit uns plaudern und uns beim Spielen zuschauen.
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Ich habe zuerst ein bisschen Angst gehabt, weil uns immer eingetrichtert worden ist, dass wir ja mit keinem Fremden reden sollen, außer es sind die Gäste natürlich, aber der Mann ist sehr nett gewesen, und ich habe gedacht, wenn er mir was tun will, müsste er ja uns allen was tun.
    Eine Zeit lang habe ich dann gedacht, dass er vielleicht der richtige Vater vom Alexander ist, aber ich habe mich nicht getraut, ihn das zu fragen. Ich bin ja erst neun Jahre alt gewesen. Er hat auch seinen Namen gesagt, aber ich habe ihn gleich wieder vergessen, so aufgeregt bin ich gewesen.
    Der Mann hat sich neben mich auf die Bank gehockt und hat mit mir geratscht. Ja, er hat mich gefragt, wie alt wir sind, in welche Klasse ich gehe, ob der Alexander schon in den Kindergarten geht und was wir immer spielen. Dabei hat er viel den Alexander beobachtet und gelacht. Der hat da ja echt süß ausgeschaut, er hat eine kurze Lederhose und ein kariertes Hemd angehabt, das weiß ich noch genau.
    Dann ist er aufgestanden und hat mit ihm gespielt und geredet. Zuerst ist der Alexander ja schüchtern gewesen und hat nichts gesagt, aber nach einer Weile ist er aufgetaut und hat ihm sogar den Stall gezeigt und den Misthaufen. Der Mann hat sich dann von uns verabschiedet, er hat jedem die Hand gegeben, ist zum Auto gegangen und weggefahren.
    Später hat die Mutter gemeint, das wird wer vom
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Jugendamt gewesen sein, der nachschauen wollte, wie es dem Alexander geht, und sie war böse auf mich, weil ich sie nicht geholt habe. Ich hoffe, ihr habts euch benommen, hat sie gesagt.

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Therapiegespräch im Jänner 1990
Dr. Z. und Alexander Sommer
    Das erste Mal habe ich ein Foto meiner richtigen Mutter gesehen, da bin ich so zehn gewesen. Aber wie ich das Foto gesehen habe, habe ich nicht gewusst, dass es meine Mutter ist. Erst später, ich glaube, so zwei oder drei Jahre später, hat man mir das gesagt und auch das Foto gegeben.
    Wo das Foto gewesen ist? In einer Kommode im Schlafzimmer der Eltern. Ich habe es heimlich gefunden, weil ich in der Kommode nach den alten Tagebüchern gesucht habe.
    Die Tagebücher waren keine richtigen Bücher, das waren so – so alte Hefte, und alle zwölf Hefte – vollgeschrieben mit Kurrentschrift. Die Vorfahren von der Mutter haben sie geschrieben, ihre Mutter, ihre Großmutter und ihre Urgroßmutter.
    Sie sind ein Heiligtum in der Familie und in der Verwandtschaft gewesen, die Tagebücher! Wie so einen Schatz hat man sie behandelt. An jedem Feiertag, wenn die ganze Verwandtschaft beieinander gesessen ist, hat man über die Hefte geredet oder über die Geschichten, die dringestanden sind.
    In der vierten Klasse Volksschule haben wir im Deutschunterricht die Kurrentschrift durchgenommen,
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ja, genau, die alte Schrift. Wir haben Texte in der Handschrift und in der Druckschrift gelesen. Mir ist das leichtgefallen.
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